AKTIVIERENDE INFUSIONEN IN DEN STADTRAUM
Zur Kunst Mischa Kuballs und ihren kunsthistorischen Kontexten
Mischa Kuball arbeitet mit Licht – oft mit Licht im Stadtraum.
Deshalb wird sein Werk häufig der »Lichtkunst« zugeordnet.
Diesist sicher in vielen Fällen eine treffende phänomenolo-
gische Beschreibung, den Kern der Werke trifft sie allerdings
nicht. Und dies aus zwei Gründen: Einerseits verbinden wir
Lichtkunst zuallererst immer noch die Pioniere, die die
Richtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründet haben
Lâszló Moholy-Nagy oder ZERO in den 1960er Jahren;
randererseits hat sich die Lichtkunst in den letzten Jahren zu
einem äußerst heterogenen Feld entwickelt, dessen kleinster
geinsamer Nenner sich kaum noch ausfindig machen lässt.
Mischa Kuballs Werk wird uns eher vertraut, wenn wir es
Im Kontext der Konzeptkunst und der Kunst im öffentlichen
Raun betrachten.
Und auch hier gilt es eine kunsthistorische Entwicklung zu
berücksichtigen, die noch keine lange aber eine wechselvolle
Tradition hat. Der Begriff der »Kunst im öffentlichen Raum«,
en sich gerade in den letzten Jahren auch im deutschen
Sprachgebrauch die Bezeichnung »Public Art« durchgesetzt
hat, umfasst heute eine Reihe ganz unterschiedlicher künst-
lerischer Praktiken – vom Monument im Stadtraum bis zu
kleinen oft unscheinbaren Interventionen, die die Kunst der
1990er Jahre prägten. In meinen Ausführungen werde ich den
Begriff »Kunst im öffentlichen Raum« in dem Sprachgebrauch
enden, der sich heute durchgesetzt hat, und bezeichne damit
die Kunst, die sich außerhalb der institutionellen
Innenräume im Stadtraum positioniert. Damit habe ich nur
scheinbar eine entscheidende Hürde umschifft, nämlich die
Frage danach, was den öffentlichen Raum kennzeichnet, die
Auch W.J.T. Mitchell seinem Buch Art and the Public Sphere
voranstellt: »What is the >public<, for art or anything else? Is
there any such thing as a public sphere in the cultures of late
capitalism? Are we witnessing the liquidation of the public
sphere by publicity, the final destruction of the possibility
of free public discussion (...)?« (1) Die Grundsätzlichkeit dieser
Frage macht klar, dass Kunst im öffentlichen Raum nur im
Zusammenhang mit der Entwicklung und den historischen
Bedeutungen unseres Verständnisses von Öffentlichkeit be-
schreibbar ist.
Für die heutige Kunst im öffentlichen Raum spielt ihre
gedankliche Verankerung in den Praktiken der 1960er Jahre
eine wesentliche Rolle. In der politischen und gesellschaftli-
chen Aufbruchstimmung der 1950er und 1960er Jahre erlebte
die Kunst im öffentlichen Raum eine Hochzeit. In Deutsch-
land äußerte sich dies in einer vielleicht als Sonderform zu
bezeichnenden Aktivität von »Kunst-am-Bau«-Projekten, die
in einer historisch nicht neuen Verbindung von Stadtplanung
und Baukunst einen rein funktionalen architektonischen
Wildwuchs der Aufbaujahre mit künstlerischen Mitteln zu
qualifizieren versuchte. Wenngleich Florian Matzner konsta-
tiert, dass zu Beginn der 1970er Jahre die »niederschmet-
ternden« Ergebnisse dieser Bemühungen deutlich wurden:
»weder interessant für die Kunst, noch eine Verbesserung der
größtenteils mäßigen Architektur, noch ein besonderes visu-
elles Vergnügen für die kunstinteressierte Öffentlichkeit« (2),
sind als Folge der »Kunst-am-Bau«-Aktivitäten wichtige
Ausdrucksformen der modernen Kunst entstanden, die ohne
diese Bewegung nicht denkbar wären. Aus dem Stadtbild
gerade der europäischen Innenstädte sind Arbeiten von Niki
de Saint Phalle, Jean Tinguely sowie der ZERO-Künstler Heinz
Mack, Günther Uecker und Otto Piene, um nur einige zu nen-
nen, nicht wegzudenken. Auch Ausstellungs-Parcours wie die
Skulpturenprojekte Münster entstanden in dieser Tradition.
In den USA nahm die Entwicklung mit der Land-Art,
der Minimal-Art und Teilen der Pop-Art eine etwas andere
Richtung. In all ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen ist
Kunst im öffentlichen Raum seit den 1960er Jahren bis heute
immer eine Reflexion der Möglichkeiten und Spielräume und
noch stärker der Defizite und Beschränkungen des Museums.
Künstler wie Daniel Buren, Hans Haacke und Michael Asher
wandten sich dezidiert gegen die Praktiken und Ideologien,
die mit dem bisherigen Ausstellungssystem verbunden
waren. Sie desavouierten die museale Präsentation als Teil
der Fetischisierung von Kunst, die Voraussetzung für den
Warencharakter des Kunstwerks ist. Zentrale Elemente ihrer
fundamentalen Kritik betrafen
a) den Objektcharakter des Werkes,
b) die Originalität des Werkes, der das Konzept des
Künstlers als Genie mit alleiniger Bedeutungshoheit
über das Werk zugrunde liegt sowie
c) die Ortsungebundenheit und Mobilität des Werkes,
die es erst zur Ware machen können.
Die politische Praxis dieser Künstler, ihr Rütteln an den
Grunddefinitionen des Werkes war nicht nur eine fundamen-
tale Kritik an den Konsumbedingungen von Kunst, sondern
auch der teils systematische, teils weniger systematische
Versuch, ihre Werke, diesen Verwertungsmechanismen zu
entziehen. Daniel Buren forderte, dass die damit verbunde-
nen Veränderungen in der Praxis »grundlegend« und »nicht
nur formal« sein müssen. (3) In der Folge entwickelte er ein
ausgeklügeltes System des »Avertissement«‚ um auf eine
Signatur seiner Arbeiten verzichten zu können und zugleich
die ansonsten unkontrollierbaren Marktmechanismen seine
einmal verkauften Werke zu kontrollieren. (4)
Das Museum als enzyklopädischer Ort, der beansprucht,
einen repräsentativen Überblick über die Kunst einer be-
stimmten Epoche zu geben, wurde vielen Künstlern suspekt.
Sie stellten die Möglichkeit grundsätzlich in Frage, eine ob-
jektive Präsentation zusammenzustellen und zeigten, das
jedes Museum Selektionen vornimmt und damit Ausschnitt
konstruiert, die bestimmten politischen, ökonomischen un-
sozialen Bedingungen folgen und damit ganz bestimmte Les-
arten nahe legen und andere ausschließen. So entstanden
schon in den 1960er Jahren die Wurzeln der so genannten
»Institutional Critique«, Künstler/innen, die alternative Pra-
tiken entwickelten und den geschützten Raum des Museum
verließen.
Richard Serra ist einer der Künstler, der sich grundlegend
Gedanken über die Funktion des öffentlichen Raumes als Ort
seiner Arbeiten gemacht hat. Seine Werke für den öffentl-
chen Raum sind ortsspezifische Arbeiten, die für einen ganz
bestimmten Ort entwickelt und produziert worden sind. Er
sagt dazu: »Das Spezifische an standortbezogenen Arbeiten
ergibt sich daraus, dass sie für einen Platz konzipiert werden,
von ihm abhängig und untrennbar mit ihm verbunden sind
(...) Standortbezogene Arbeiten verhalten sich ausnahmslos
wertend zu dem umfassenderen sozialen und politische
Zusammenhang, dessen Bestandteil sie sind.« (5)
Im Unterschied zum autonomen Raum des Museum:
der in seiner modernen Grundkonzeptionen des white cube
die Reinheit und inhaltliche Unentschiedenheit für sich
beansprucht, begibt sich das Kunstwerk nun in eine Reihe
von Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten, aus denen es
nicht mehr zu lösen ist. Es löst sich von seinem Anspruch
auf Universalität und macht den öffentlichen Stadtraum, in
dem es sich befindet, zum wesenhaften Teil des Werkes.
Für Serra heißt dies als Konsequenz: »Das Werk entfernen,
heißt, das Werk zu zerstören.« Das Kunstwerk ist nicht länger
mobil und ortsungebunden und widersetzt sich damit seiner
unbeschränkten Zirkulation als Ware. Gleichzeitig lädt es
sich mit Bedeutungen auf, die den unmittelbaren Bezug zur
Alitagswelt und zu den Aktivitäten der Passanten/Betrachter
herstellen.
Dieses Verfahren wird in den 1980er Jahren weiter ra-
dikalisiert von Künstler/innen wie Jenny Holzer und Les
Levine. Beide gehen davon aus, dass ein ortsgebundenes
Kunstwerk vor allem temporär Wirkung entfalten kann.
Jenny Holzer verwendet für ihre Texte elektronische Anzei-
gentafeln, die ansonsten Orte für Werbetexte oder für Nach
richten sind. Auch Les Levine besetzt mit seinen Plakaten
genau den Raum, den er mit seiner künstlerischen Praxis
am heftigsten attackiert — die Werbeflächen der Warenwelt.
Ihre Werke erscheinen dort nur für kurze Zeit, um danach
unwiederbringlich zu verschwinden. Es bleibt kein Objekt,
das musealisiert oder vermarktet werden könnte. Das »Zer
stören des Werks« im Sinne Serras ist in der Konzeption
ihrer Arbeiten bereits angelegt. Die Kritik an den Fundamen-
ten der Moderne äußert sich auf zweierlei Weise, zum einen
in der Auflösung des Ewigkeitsanspruches des Werks und
zum anderen in dessen konsequenter »Dematerialisierung«.
Damit ist nicht nur das Verschwinden materieller Kunstge-
genstände gemeint, sondern die zunehmende Konzeptuali-
sierung der Arbeiten. Die Organisationsstrukturen der Kon-
zepte (art as idea) und der Aktionen (art as action) werden
zu Bedeutungsträgern.« (6)
Der Kunstanspruch ihrer Werke formuliert sich weder
durch die Wahl der Materialien (wie noch bei Serra) noch
durch den Ort ihres Erscheinens. Ihre einzige Möglichkeit
Differenz zur Alltagswelt und damit ein Sur Plus an Bedeu-
tung herzustellen, besteht darin, mit und gleichzeitig gegen
die Gesetzmäßigkeiten der Alltagswelt zu arbeiten. Jenny
Holzers emotionale und moralische Statements brechen mit
der Sachlichkeit der Informationen, die ü̈blicherweise auf den
elektronischen Displays erscheinen. Les Levine überhöht die
Rhetorik der Werbesprache in ihrer Grellheit und Monumen-
talität, um sie in seinen Plakatbildern durch die Führung sei-
nes Pinselstrichs zugleich wieder als individuelle Äußerung
kenntlich zu machen.
Vielen Künstlern geht es in den 1980er Jahren darum, die
Strukturen und Mechanismen von Autorität zu untersuchen. Im
Zentrum steht dabei häufig der Macht- und Repräsentations-
anspruch der Sprache. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass die
Sprache, der Text, die Erzählung in den allgegenwärtigen Bil-
dern der elektronischen Medien einen mächtigen Konkurrenten
bekommen hat. Les Levine formuliert dies so: »Auch wenn ein
Großteil dessen, was wir als Realität wahrnehmen, auf Sprachstrukturen
und den Möglichkeiten, diese als Bausteine bei der
Erfindung eines Bedeutungsmodells einzusetzen, beruht, ist
seit dem Einzug der Massenmedien klar, dass der Baustein
Sprachstruktur dekonstruiert wurde. Unsere Wahrnehmung
verläuft nicht mehr linear. Wir betrachten Sprache heute als
episodisch, was auch bedeutet, dass sie dem Strukturmodell
des geschriebenen Wortes nicht mehr folgt. Sie wird gesehen.
Sie wird gefühlt. Sie wird in Bilder übersetzt.« (7)
Es scheint, als ginge es den Künstlern, die im öffentlichen
Raum arbeiten, darum, sich genau des Raumes zu versichern,
dessen Verschwinden und Verfall schon in den 1970er Jahren
besiegelt schien. (8) In seinem Buch Verfall und Ende des
öffentlichen Lebens beschreibt Richard Sennett wie Plätze,
Parks und ganze Stadtviertel ihre ursprünglichen Funktionen
verlieren und sich zu einer Struktur formieren, die sich nicht
mehr als Stadt bezeichnen lässt. Obwohl rückblickend zu
konstatieren ist, dass der »Verfall« der Städte, wenn er so be-
zeichnet werden kann, ein sehr langsamer Prozess ist, so ist
doch deutlich, dass Sennett teilweise sehr hellsichtig einen
entscheidenden Funktionswandel der Stadt beschrieben hat.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die westlichen
Städte und ihre soziale Funktion stark gewandelt. Es ist nicht
nur eine zunehmende Kommerzialisierung und Privatisierung
des Stadtraumes zu beobachten, sondern zugleich eine
Schrumpfung der Stadtkerne. Die Entwicklung in Ostdeutsch
land, die seit 1989 zu einem immensen Leerstand von
Wohnungen gefü̈hrt hat, steht dabei stellvertretend für eine
allgemeine Entwicklung, die auch andere Städte in den USA
wie in Europa betrifft: »Die durch Schrumpfung verursachten,
einschneidenden Veränderungen der Städte stellen deshalb
nicht nur eine ökonomische und soziale, sondern auch eine
kulturelle Herausforderung dar. Urbane Schrumpfung ist städ-
tebaulich kaum zu steuern und bringt eine Vielzahl von Pro-
blemen mit sich. Es entstehen neue Stadttypen, für deren Ei-
genart bisher weder Vorstellungsbilder noch Gebrauchsformen
existieren«, heißt es in der Projektbeschreibung zu Shrinking
Cities. Schrumpfende Städte, ein dreijähriges Initiativprojekt
der Kulturstiftung des Bundes, das versucht, dieses Phänomen
interdisziplinär zu untersuchen und zu dokumentieren.
Die sozialen Funktionen der historischen Stadtkerne nehme
ab (oder werden zur reinen Fassade für Touristen, die ihr Bil-
der Stadt bestätigt sehen wollen), während das städtische
Umfeld an Bedeutung gewinnt. Thomas Sieverts spricht in
diesem Zusammenhang von der »Zwischenstadt« (9), die auch
als »Netzstadt« bezeichnet wird. Sie ist eine Stadtlandschaft,
in der Landschaft immer weiter mit städtischen Funktionen
und Strukturen durchsetzt wird, während die Stadtkerne diese
Funktionen verlieren; beide Zonen gleichen sich immer weiter
aneinander an. Es entstehen dezentrale Stadtregionen, wie
wir sie gerade im Ruhrgebiet, aber auch an den Rändern der
Megastädte und Metropolen paradigmatisch antreffen.
Das Problem dieser Stadtregionen ist nicht so sehr ihre
interne Bedeutungsverschiebung, die die Menschen offenbar
sehr schnell adaptieren, sondern es ist vielmehr die Art und
Weise, wie wir uns in diesen veränderten urbanen Gebilden
zurechtfinden. Sieverts schreibt dazu: »Die Orientierung
innerhalb dieser >Zwischenstadt<, wie ich sie genannt hab
gelingt nur entlang von Verkehrsschildern und Straßenbe-
zeichnungen. Man kann sogar noch weiter gehen: Die Zwi-
schenstadt ist nicht nur schwer lesbar, sie gehört in weiten
Bereichen in den anästhetischen Bereich.« (10) Es ist heute als
angebrachter, nicht nur von einem Bedeutungsverlust des öf-
fentlichen Raumes zu sprechen, sondern von einem substan-
ziellen Wahrnehmungsproblem, einer Nicht-Wahrnehmung
des öffentlichen Raumes. (11)
Mischa Kuballs Kunst reagiert auf diese als krisenhaft
wahrgenommene Veränderung der Stadt. Sie reagiert, indem
sie direkt bei den Gewohnheiten, Ritualen und Wahrnehmun-
gen der Bewohner ansetzt. Kuballs Werk (soweit es sich no
mit diesem an sich ausgehöhlten Begriff bezeichnen lässt)
liest sich wie ein Metakommentar zu den Gegenstandsfel-
dern der Kunst der Moderne und ihren Kommentatoren der
1960er. Kuball ist sich bewusst, dass er mit jeder Geste mit
jeder Aktion, die gesamte Tradition der modernen Kunst mit
sich trägt. (12) Aus der Reflektion der Moderne zieht er seine
Konsequenzen, die sich allerdings nicht in der Konfrontation
von Gegensätzen äußert, sondern in einer Anerkennung ganz
bestimmter Prinzipien der Moderne und eines gleichzeitigen
Verwerfens anderer ihrer Grundsätze.
Mischa Kuball hat sich gegen die individuelle, handwerk-
liche Produktion seiner Werke entschieden. (13) Er arbeitet mit
dem »Immaterial« (14) Licht und mit lichtproduzierenden Appa-
raten. Mit Hilfe des Lichts schafft er in erster Linie energetische
Räume. Es sind Räume, die Energien sammeln und ausstrah-
len, wie zum Beispiel in seiner Arbeit für die Landsynagoge
Stommeln (15) (1994); es sind Räume die Energien ver-
binden und neu ordnen, wie in der Arbeit Projektion-Reflektion
(1995) für die Kunst-Station Sankt-Peter in Köln. (16)
In vielen Arbeiten für den öffentlichen Raum kommen diese
Aspekte zusammen, wie in seinen beiden wichtigen Installatio-
nen für den öffentlichen Raum des Ruhrgebiets Yellow Marker
(2001) und Oval Light (1999)‘. Mit Yellow Marker schafft Kuball
eine gedankliche wie räumliche Klammer des
nördlichen Ruhrgebiets: Jeweils zwei gelbe Leuchtlinien aus
LED‘s (Licht emittierenden Dioden) ragen an den Fördertürmen
des Bergwerks Rossenray in Kamp-Lintfort im Westen und der
Zeche Königsborn in Bönen im Osten des Ruhrgebiets in den
Himmel. Yellow Marker überspannt ein Gebiet von insgesamt
8o Kilometern, er stellt räumliche Zusammenhänge her, die mit
anderen Mitteln kaum erfahrbar sind. Kuball schafft mit YeIlow
Marker weniger ein Werk, denn eine Denkfigur, die unsere Aufmerksamkeit
in bestimmter Weise ausrichtet. Es liest sich wie
eine stille Hommage an die Bergbaugeschichte der Region,
verbunden mit dem Hinweis, dass der Raum des Imaginären,
der Raum des Himmels, der Ort der Visionen ist.
Im Unterschied zu vielen der selbstreflexiven und institu-
tionen-kritischen Arbeiten der 1990er Jahre ist bei Kuball die
Selbstreflexion Fundament und Bedingung der Arbeit nicht
aber ihr Endziel. Trotz ihrer grundsätzlichen Offenheit ist in sei-
nen Arbeiten eine Haltung zu spüren, die auf eine Versöhnung
von Gegensätzen ausgerichtet ist: Viele seiner Projekte finden
im öffentlichen Raum statt; das bedeutet aber nicht, dass er
das Museum als Ort seiner Kunst ausschließt. Er weist ihm nur
eine andere Funktion innerhalb seines Werkes zu. Die Arbeiten
Public Eye 1 und Public Eye 2 (2002) sind solch vermittelnde
Gesten zwischen dem Stadtraum und dem musealen Raum.
Als zwei monumentale Leuchtkastenbilder sind sie in
der Fassade des Kunstmuseums Bonn installiert. Die Bildmo-
tive zeigen Standbilder aus einem Videofilm, den Kuball in
New York aufgenommen hat. Während die zwei Leuchtkästen
gewissermaßen wie zwei Augen den Stadtraum überblicken,
ist im Innern dieses kontrollierenden Wesens, im Museum, das
aufgenommene Videomaterial ungeschnitten in voller Länge
zu sehen.
Kuball zieht ganz unterschiedliche Wahrnehmungsweisen
des Betrachters und des Passanten ins Kalkül. Im Innern des
Museums obliegt es dem Betrachter, das Werk und seine
multiplen Lesarten mit Hilfe seiner Kunsterfahrung zu dechiff-
rieren; im Außenraum wird der Passant zum Akteur, der das
Geschehen bestimmt und dabei beobachtet wird. Es entsteht
genau dort eine Wechselbeziehung zwischen innen und au-
ßen, wo sie sonst oft unterbrochen ist.
In seiner Oldenburger Arbeit FlashBoxOldenburg (2005)
fragt sich Kuball, mit welchen Mitteln sich ein Gefühl der
Gemeinschaft und der Zusammengehörigkeit entwickeln
lässt. Er macht in seiner Inszenierung und Vorbereitung zu
FlashBoxOldenburg zunächst einmal spürbar, dass es eine
solche Gemeinschaft gerade in den Zentren der Städte nicht
gibt. Die Innenstädte definieren sich vor allem durch ihre
»Benutzer«, die das gemeinsame Interesse des Konsums
teilen. Um eine Kommunikation außerhalb dieser Sphäre zu
ermöglichen, greift Kuball zu dem Mittel der genau bedach
ten Provokation und Verunsicherung. Die »Öffentlichkeit« er
fährt durch die Tageszeitung, dass in »ihrer« Innenstadt blit-
zende Lichter installiert werden sollen. Viele fühlen sich
unwohl dabei und eine kontroverse Diskussion beginnt.
Nun sind es aber die Bewohner der Innenstadt selbst, die
die Möglichkeit haben, die Lichter zu installieren. Damit gibt
Mischa Kuball einen Teil seiner künstlerischen Arbeit in ihre
Hände. Sie sind diejenigen, die die Bühne bereiten, auf der
sie und andere sich bewegen. Das Licht hat in diesem Pro-
zess eine mehrfache Funktion: Es wird als bedrohlicher Ein-
36 griff empfunden, es zieht die Aufmerksamkeit auf sich und
strukturiert den Stadtraum. Vor allem aber, und das ist das
Entscheidende: Es schafft eine temporäre Gemeinschaft.
Mischa Kuball versteht den Stadtraum als Labor – als ein
experimentelles Feld, in dem jede Geste eine politische Di-
mension besitzt. (18) Die Metapher des Labors deutet an, dass
die Stadt für ihn ein Ort der Untersuchung und der Analyse
ist. Etwas bislang Unbekanntes, Unerforschtes soll ansichtig
gemacht werden. Mischa Kuball begibt sich in die Rolle des
Forschers, des Wissenschaftlers, der ein geeignetes »Instru-
mentarium« für sein Erkenntnisinteresse entwickelt. Es geht
aber nicht in erster Linie darum, dass er selbst um Er-
kenntnisse ringt. Er entwickelt vielmehr komplexe Ver-
suchsanordnungen, die den Passanten, Bewohnern und Nut-
zern des öffentlichen Raumes Erkenntnisse ermöglichen.
Jenseits jeder Narration stößt er Prozesse an, in deren Ver-
lauf, die Menschen das soziale und politische Wesen ihr
Stadt spüren können.
Mischa Kuball gibt Infusionen in den Stadtraum,
deren Wirkung radikal abhängig von der jeweiligen soziale
Situation in der Stadt ist. Es besteht auch die Möglichkeit,
dass die Infusionen keine stimulierende Wirkung entfalten.
Das Moment des »Scheiterns« ist immer mit gedacht. Aber
auch (oder gerade) das Scheitern gibt Aufschluss über das
soziale Gefüge der Stadt. Kuballs »Werke« haben alle materi-
alistischen Aspekte, die das traditionelle Kunstwerk bis heulte
prägt, eingetauscht. Eingetauscht wogegen? Gegen eine sozi-
ale und politische Handlungsfähigkeit, die den Charakter ei-
ner Infusion besitzt: Sie gibt für eine bestimmte Zeit, Ener-
gien und Kräfte in das soziale Gefüge ab und trägt die
Möglichkeit in sich, die Stadt als sich selbst organisierendes
System zu aktivieren.
Anmerkungen
1 WJ.T Milchell, Art and the Public Sphere, Chicago, London 1992, S. 2. Vgl. zum Begriff
des Öffentlichen für die kritische Theorie der frühen 1960er Jahre: Jürgen Habermas,
Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen
Gesellschaft, Frankfurt/Main 1990 (1. Auflage 1962).
2 Ders., Vorwort, Public Art. Kunst im öffentlichen Raum. Ein Handbuch. hrsg. v. Florian
Matzner, Schriftenreihe der Akademie der Bildenden Künste München, Osfildern-Ruit 2004,
S. 11.
3 Das Aufbegehren gegen die Tradition usw. finden wir schon im 19. Jahrhundert, um nicht
noch (viel) weiter zurückzugehen. Und dennoch folgten darauf immer neue Traditionen,
neue Akademismen, so viele neue Tabus und neu Schulen! (...) Und so entwickelt sich
die Kunst und gibt es eine Kunstgeschichte. Der Künstler protestiert gegen die Staffelei,
indem er eine zu große Leinwand benutzt, die nicht mehr auf die Staffelei passt, dann
protestierte er gegen die Staffelei und die zu große Leinwand, indem er die Leinwand plus
einen Gegenstand, dann einen erst herzustellenden Gegenstand anstelle des hergestellten
und schließlich einen beweglichen oder nicht transportablen Gegenstand macht usw..
das ist nur ein Beispiel, daß aber aufzeigen soll, daß, wenn Protest erfolgen soll, er
nicht rein formaler Art sein darf, er muß grundsätzlicher Art sein, sich auf der Ebene der
Kunst abspielen und nicht auf der Ebene der Form, die man dann nachträglich der Kunst
zuschreibt. Daniel Buren, Soll man die Kunst lehren?, in: Daniel Buren, Achtung! Texte
1967-1991, hrsg. v. Gerti Fietzek und Gudrun Inboden, Dresden und Basel 1995, S. 53. zit.
n. Dauglas Crimp, Über die Ruinen des Museums, Verlag der Kunst, Dresden 1996, S. 171.
4 Vgl. dazu das Interview mit Daniel Buren, in: Public Art, siehe Anm. 2, S. 439.449
5 Richard Serra, Schriften 19701989, Bern 1991, 5. 217-236. hier S.227.
6 Lucy R. Lippard u. John Chandler, The Dematerialization of Art, in: Art International,
Bd. 12, Nr. 2, Feb. 1968, S. 31-36.
7 Les Levine, Demand More Freedom . Verlange mehr Freiheit, in: Jenny Holzer „Xenon for
Duisburg“ Les Levine „Celebrate Your Self“, 28. Duisburger Akzente 2004, hrsg. v. Söke
Dinkla und Gerd Bildau, Duisburg 2004, S. 66-70, hier S. 69f.
8 In meinen folgenden Ausführungen zur Funktionsveränderung der Stadt beziehe ich
mich auf Teile meines Textes „5trategien der Identifikation — Lichtkunst im öffentlichen
Raum“, in: Am Rande des Lichts – Inmitten des Lichts, hrsg. v. Söke Dinkla und dem
Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna, Köln 2004, S. 13.
9 Thomas Sieverts: Zwischenstadt, zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land,
Reihe: Bauwelt/Fundamente Bd. 118, Basel 2001.
10 Thomas Sieveris ‘lnnenbildern und die Künste in der dezentralen Stadt, in: Kunst
(be)zeichnet Stadt, hrsg. v. Ulrich Hatzfeld, Jens Imorde, Frauke Schnell, Münster 2002,
S.46-51.
11 Diese hat freilich auch ihre politischen Ursachen, die z. B. Hans Haacke in seiner Foto
Test.Arbeit Shapolsky et al Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as
Of May 1 1970 eindrucksvoll anhand eines komplexen Systems der Immobilienspekutation
in New York City beschrieb.
12 Vgl. zur Bedeutung der Moderne im Werk Kuballs auch den Text Ulrich Krempels
im Katalog No-Place. Mischa Kuball (eine Intervention) im Sprengel Museum Hannover,
Hannover 1994, 5.2-5. Siehe auch seine Arbeit der Bauhausblock in: Mischa Kuball,
Bauhaus-Block, hrsg. v. Lutz Schöbe u. a., Ostfildern, 1992.
13 Nach den Einsichten der Kunst der 1960er Jahre sollte dies eigentlich keiner Erwähnung
mehr bedürfen, aber die Kunstgeschichte verläuft, wie auch die Geschichte generell nicht
linear Sie verläuft nicht, wie es nach in der Moderne angenommen wurde, in einer
progressiven Form, sondern setzt sich aus ganz unterschiedlichen Bewegungen zusammen.
So ist es den Regeln und dem Einfluss des Kunstmarkts geschuldet, dass heute ein neo-
konservativer Maler wie Neo Rauch als Repräsentant der Kunst in Deutschland aufgebaut
wird.
14 Die Bedeutung der „Immaterialienn“ stellte Jean Francois Lyotartd in seiner Ausstellung
„Les Imrnatériaux 1985 heraus: „Beim Begriff ‘Imntaterial“ handelt es sich nun um einen
etwas gewagten Neologismus (...) Damit ist lediglich ausgedrückt, dass heute – und das
hat sich in allen Bereichen durchgesetzt – das Material nicht mehr als etwas angesehen
werden kann, das sich wie ein Objekt einem Subjekt entgegensetzt.“ Lyotard im Gespräch
mit Jacques Derrida moderiert von Thomas Frenzi, in: Jean Francois Lyotard u.a.,
Immaterialität und Postmoderne, Berlin, S. 19-26, hier S.25.
15 Vgl. dazu Art Projects /Synagoge Stommeln / Kunstprojekte, hrsg. v. der Stadt Pulheim,
Gerhard Dornseifer, Angelika Schallenberg, Ostfildern, 2000.
16 Vgl. Mischa Kuball. Projektion — Reflektion, hrsg. von Marianna Hanstein und Kurt
Danch, Kunst-Station Sankt Peter Köln 1995.
17 Vgl. zu Oval Light, Am Rande des Lichts – Inmitten des Lichts, siehe Anm.. 8, S. 128f.
18 Mischa Kuball, „And it‘s a pleasure...“ Öffentlichkeit als Labor, in: Public Art, siehe
Anm. 2, S. 307-313.