Ein Email-Dialog zwischen Mischa Kuball und Florian Matzner im Mai 2005
Florian Matzner (FM): Im Rahmen der Ausstellungsreihe
Urban scans des kunstraum muenchen
hast Du eine Arbeit in aktualisierter Form wiederholt,
die Du bereits als deutschen Beitrag zur
Biennale in São Paulo 1998 gezeigt hast.
Mischa Kuball (MK): Du hast recht, tatsächlich
gab es in São Paulo den Plan, public blend zu realisieren
– als Erweiterung der Arbeit private light/
public light, die ja in Brasilien 1998 als deutscher
Beitrag umgesetzt wurde. Im Vordergrund stand
hier die Idee eines symbolischen Tausches – ausschnitthaft
mit einem Teil der Bevölkerung der
Megapolis – ein Element des Privaten herauszulösen
und in den öffentlichen Kontext zu
stellen, im buchstäblichen Sinn des Wortes
›auszustellen‹ …
FM: Was unterscheidet aber konkret Deinen Beitrag
für die Ortstermine 2004 hier in München
von dem Beitrag in São Paulo?
MK: Vielleicht das Verbindende zuerst: Auch
hier steht das Symbolische im Vordergrund – der
Tausch. Ich habe auch all die Nachbarn mit der
Arbeit in São Paulo vertraut gemacht (und auch
als Fotodokumentation im kunstraum muenchen
vorab als public blend I gezeigt), um deutlich zu
machen, woher die Idee kommt. Am Anfang des
Projektes erfuhren Rüdiger Belter, der Kurator,
und ich viele Rückmeldungen, die unisono behaupteten,
das geht in München nicht …
FM: Gut, dass Du das ansprichst, denn dieser
Aspekt ist auch ein wichtiger Bestandteil der
Münchner Kunstszene: Man geißelt sich immer
selbst als »kunstfeindlich«, das Gegenteil ist
aber der Fall. Die »Leute« wollen aktuelle, freche,
provozierende Kunst – auch und gerade vor ihrer
Haustür. Ich glaube, die Münchner »vertragen«
mehr, als man ihnen gemeinhin »zutraut«.
MK: … die praktische Arbeit hat aber gezeigt,
dass das Interesse am Tausch größer war als unser
Budget – die Vorstellung, IHRE Lampe hängt
in der Straße und unterstützt die öffentliche Beleuchtung,
hat Viele neugierig gemacht.
FM: Ich erinnere mich an ein kleines Mädchen,
das mir ganz stolz erzählte, dass die Lampe aus
ihrem Kinderzimmer in Form einer Sonne auch
dort hängen würde und hier an ihrem neuen
Standort viel, viel schöner wäre als in ihrem kleinen
Zimmer zu Hause, denn manchmal würde
man den »wirklichen« großen Mond und »ihre«
kleine Sonne nachts zusammen sehen können.
MK: … Das ist natürlich eine willkommene Reaktion
und zeigt am Beispiel von Nora und ihrer
Lampe, wie dieser Transfer gemeint war: Denn
nimmt man eine Lampe aus dem Zimmer und
hängt sie einfach so an die Oberleitung der Stadt,
funktioniert mein Konzept nicht. Es braucht eine
Hülle, gleichsam eine Form, um im öffentlichen
Raum wahrgenommen zu werden – nur in dieser
Hülle war die Form erkennbar und bildet eine Aura
des Privaten im Öffentlichen ab, übrigens ein Konzept,
das mich ja seit Megazeichen aus dem Jahre
1990 interessiert. Notwendig war diese Hülle auch
aus rein funktionalen Gründen, um die Lampen gegen
Wind und Regen zu schützen, denn es haben
ja alle ihre Lampen auch wieder nach Ende der
Ausstellung wohlbehalten zurückbekommen …
FM: Lass uns noch einmal zurückkommen zum
Hauptthema Deiner Arbeit, nämlich der Veröffentlichung
des Privaten und im Umkehrschluss der
Privatisierung des Öffentlichen, in diesem Falle
des öffentlichen Raums. Spielt dieser Aspekt auch
in anderen Arbeiten eine Rolle?
MK: Ich denke, bereits im Megazeichen-Projekt
wurde deutlich, dass es um einen Transfer des
›Privaten‹ ins ›Öffentliche‹ geht. 1990 hatte ich
ca. 700 Mitarbeiter eines Konzerns gebeten, in
ihren Büros, also dem jeweils individuellen Arbeitsplatz,
das Licht nach einem von mir vorgegebenen
Plan entweder ein- oder auszuschalten. So drang
für viele der Mitarbeiter zum ersten Mal bewusst
›ihr‹ Licht als ablesbares Zeichen durch die Fassade
in den öffentlichen Raum. Ich denke die Reaktion
des Vorstandes, dieses Projekt als ein »Corporate
Identity« bildendes Vorhaben einzustufen,
zeigt, welche Kräfte sich hinter einem solchen
Transfer als Potenzial verbergen. Du erinnerst
Dich, dass bei refraction house mit der Synagoge
in Stommeln ja auch durch das Verschließen der
säkularisierten Synagoge und mit dem Licht auf
die Nachbarn die Menschen aus der zufälligen
Nachbarschaft mit dem ausstrahlenden Licht aus
dem spirituellen Umfeld in eine öffentliche, das
heißt sichtbare Beziehung getreten sind. Die Reaktionen
in den Medien haben das auch deutlich gezeigt,
indem das Projekt zum Teil vom Künstler
entkoppelt wurde und die Nachbarn konkret befragt
wurden … Parallel dazu organisierten wir
u. a. mit Klaus Bußmann und Walter Grasskamp
das Symposium Mahnmal statt Denkmal, dass die
Diskussion in kunstwissenschaftlicher und historischer
Hinsicht weiterführte und vertiefte.
FM: Auf der anderen Seite sagen ja viele Künstler,
dass für sie nach der Euphorie der Public Art in den
80er und frühen 90er Jahren das Experiment mit
dem Arbeitstitel »Raus aus den Museumstempeln,
rein in die Straße!« irgendwie gescheitert sei.
Wie siehst Du das?
MK: Der Wunsch ist alt – siehe bereits die russische
Avantgarde –, aber Erfüllung ist fern: Siehe
etwa auch die ›zarten‹ Schritte der zeitgenössischen
Kunst Moskaus oder aber auch der Umgang
mit dem öffentlichen Raum in Japan … Für
uns hier in Deutschland oder in Westeuropa gibt
es sicher ein gewisses Maß an Übersättigung.
Dennoch ist der Eingriff in den öffentlichen Raum
immer noch ein probates Mittel, um soziale und
politisierte Inhalte zu vermitteln – und zwar auf
direktem Wege, ohne den Umweg und die Nobilitierung
des Museums. Was den klassischen Skulpturbegriff
im öffentlichen Kontext angeht, gibt
es wenig beachtete und debattierte Beiträge: Da
kommt es sehr stark auf die künstlerische Praxis
und die kontextbezogene Antizipierung des jeweiligen
Ortes an. Aber wem sage ich das, denn
Du hast doch erst noch im Jahr 2001 – anlässlich
des 60. Geburtstages von Klaus Bußmann – mit
Public Art eine wichtige Referenzpublikation geschaffen.
Oder hattest Du dabei so etwas wie
den Abschluss einer ›Epoche‹ oder gar nur einer
›Episode‹ im Auge gehabt …?
FM: Nein, auf keinen Fall. Mit Public Art habe ich
versucht, gleichsam den Stand der Dinge zu dokumentieren,
und zwar weniger aus der Sicht
der Wissenschaftler, Kritiker und Kuratoren, als
vielmehr aus der Sicht der Künstler selbst. Ich
persönlich glaube ebenfalls nach wie vor an die
Sprengkraft der aktuellen Kunst außerhalb des
White Cube, eben im »dirty cube« des Stadtraums.
Als eingefleischter »Städter« bemerke ich jedenfalls
in den letzten Jahren einen beängstigenden
Rückzug der Menschen in die vermeintliche Schutzzone
des heimischen Wohnzimmers mit Fernseher,
Playstation und Home Shopping. Und da hat gerade
die Kunst im öffentlichen Raum für mein
Dafürhalten nach wie vor und neuerdings immer
mehr die Funktion, Menschen auf die Straße zu
locken, Kommunikationsorte zu schaffen, Diskussionsräume
zu kreieren – also all das, was Architekten
und Stadtplaner ebenso wie Gesellschaftswissenschaftler
in den letzten 20 Jahren sträflich
versäumt haben.
MK: Für mich war das auch immer das konzeptuelle
Spannungsfeld meiner Arbeit – sozusagen
die Fehlplanung als Ausgangsmaterial. Aber Du
siehst das ja auch bei urban context, dem Projekt
mit den Studenten der Uni Lüneburg über einen
ehemaligen Gauleitungsbunker (1995–2000): Da
hat sich ja gezeigt, dass erst die Verhinderungsstrategien
der kommunalen Politik das Projekt
aus der lokalen Wahrnehmung in die überregionale
Debatte katapultiert hat. Erst war die künstlerische
und politische Idee an den unterirdischen
Raum gebunden, dann wurde qua Verbot die Diskussion
um diesen historischen Raum in das öffentliche
Bewusstsein transportiert! Hier ging es
zwar weniger um einen Ort der Versammlung als
eher um eine qualitative Verschiebung des Themas
Vergangenheitsbewältigung einer deutschen
Stadt …
FM: Aber genau darum geht es ja: Du nennst es
Fehlplanung, ich nenne es Restrisiko – und zwar
im positiven Sinne! Gerade das zeichnet die Kunst
im öffentlichen Raum aus: Dass sie für den Künstler
nur bis zu einem bestimmten Grad berechenbar
ist, denn im Gegensatz zum »autonomen«
Kunstwerk im White Cube ist der Betrachter derjenige,
der das Kunstwerk umdeutet, neu analysiert,
eigentlich erst mit seiner Anwesenheit und
seiner aktiven Rezeption vollendet – siehe Dein
Projekt hier in München. Ohne die aktive Beteiligung
der Nachbarn wäre das Projekt von vornherein
zum Scheitern verurteilt gewesen. Und
das meine ich mit Restrisiko des Künstlers und
seines Werkes. Er macht dem Betrachter ein Angebot,
dass dieser akzeptiert oder ablehnt. Und
der Rezipient im öffentlichen Raum ist ein grundsätzlich
anderer als derjenige in einem Museum
oder einer Kunsthalle. 0,01 % der Bevölkerung
gehen in ein Museum, um freiwillig und vorbereitet
Kunst anzuschauen, im öffentlichen Raum
aber sind 100% der Bevölkerung Rezipienten, und
des öfteren unfreiwillige dazu: das Schulkind,
der Taxifahrer, die Hausfrau, der Arbeitslose, der
Manager.
MK: Da ist mitunter eine andere Qualität der
Vermittlung nötig – ich kann mich noch sehr gut
an die Reaktionen zum Megazeichen-Projekt in
der Bevölkerung erinnern: Da schrieb eine Leserin
in der Rheinischen Post, der auflagenstärksten
Tageszeitung in Düsseldorf: »Die Putzfrauen haben
wohl vergessen, das Licht auszumachen …«.
Gleichzeitig hast Du natürlich ›draußen‹ ein ungleichgrößeres
potenzielles ›Publikum‹ – bei diesem
Projekt sprechen wir von ca. 200.000 Pendlern
im fließenden Verkehr, morgens und abends.
Das ist an sich ja noch keine Qualität, aber ein Verweis
auf neue, andere Rezeptionsstrategien. In
Lüneburg sind doch die Bürger erst aufgeschreckt,
als es eine Reihe von Auffahrunfällen gab, die natürlich
nicht beabsichtigt waren und plötzlich somit
ein größerer Teil der Bevölkerung sich zu dem
Projekt urban context eine Meinung bildete.
FM: Das wichtigste Medium in Deiner Arbeit ist
das Licht. Ich erinnere mich an ein Zitat des guten,
alten Nam June Paik, der bereits in den 70er Jahren
sagte: »Light is the most efficient form of information
transmission.« Und trotzdem: Du beharrst
auf dem Mittel Licht als konzeptuellem und ästhetischem
Träger von Inhalten, obwohl der Rest der
(Kunst-)Welt sich entweder in Live Chats vergnügt
oder aber den Rückzug in die »klassische« Malerei
angetreten hat. Bist Du ein Konservativer oder
bleibst Du »nur« einem eigenen Weg treu, den
Du vor knapp 20 Jahren eingeschlagen hast?
MK: Die Frage stellt sich mir ja so gar nicht – ich
gehe in den meisten Fällen über die Analyse des
Ortes an ein Projekt heran. Dabei habe ich nicht
das mögliche Medium im Kopf, sondern die Frage,
was kann man hier machen: Oft sind ja die Orte
mehrfach determiniert – im Museum durch die
bisher gezeigte Kunst, die Geschichte des Museums
etc. Im öffentlichen Raum kommen dagegen
Aspekte des urbanen, sozialen und politischen
hinzu … da ist das Medium Licht oft »the most efficient
form of information transmission«. In Oldenburg
reagiere ich aus einer solchen Analyse auf
den ›Jahrhundertschritt‹ von 1905, mit einer
Blitzlicht-Installation unter dem Titel FlashBox-
Oldenburg2005 im Stadtraum von Oldenburg und
zwei Stroboskopräumen im Oldenburger Kunstverein
und dem Edith-Russ-Haus. Diese Arbeit
führt zu einer anderen Wahrnehmung von Urbanität
und den Erwartungen an den Jahrhundertschritt
2005. Ich wüsste kein anderes Medium,
das in dieser gewünschten Weise zwischen Aufklärung
und Blendung wirken könnte.
Was mich allerdings am wenigsten interessiert,
ist eine werkimmanente Fortschreibung in den
Projekten – ich bin am Prozess interessiert – oder
wie ich es mal formulierte, an der ›Öffentlichkeit
als Labor‹ …
FM: Du bist meiner Frage ausgewichen. Ich würde
gern noch einige Sätze von Dir zum Medium Licht
in den unterschiedlichsten Erscheinungsweisen
hören: Von der Wohnzimmerlampe als ready made
hier in München bis hin zum Einsatz vom Stroboskop
in Oldenburg oder »einfach nur« dem Einschalten
von Beleuchtung wie bei der legendären
Installation, oder besser Performance, im und
am Mannesmann-Hochhaus in Düsseldorf …
MK: Über das Licht als künstlerisches Medium
ist ja bereits viel gesagt worden – z. B. in den
Kunsttheorien des 20.und 21. Jahrhunderts. Ich
selber halte mich da gerne zurück, was den Diskurs
angeht. Meine Projekte schneiden tatsächlich
einige interessante Aspekte des Lichtes an: Gerhard
Dornseifer, Leiter des Projektes Synagoge
Stommeln (der 2001 plötzlich verstarb), verband
mit dem Licht des refraction house das Licht der
Aufklärung. Dasselbe Licht deutete Burckhard
Brunn (Kunstwissenschaftler und Journalist der
Frankfurter Rundschau) als ›brennend‹ – also zerstörend
… diese ›Lampen‹ aus dem Projekt beleuchten
heute den Parkplatz des örtlichen Fußballplatzes.
Du merkst schon, wohin ich damit
will: Es geht also weniger darum, was ICH mit
dem Licht will, sondern was für Wahrnehmungsfelder
sich mit dem Medium Licht öffnen lassen.
Im São-Paulo-Projekt und auch in München tritt ja
das Symbolische ins Blickfeld: Aus einer profanen
Haushaltslampe wird ein Objekt des Transfers,
mit all seinen kulturellen und privaten Konnotationen.
Im öffentlichen Rahmen setzt sich diese
Transformation fort, reale Relationen und Größenmaßstäbe
verschieben sich und urbane Kontexte
bilden so ein neues Licht, obwohl wir weder
für München noch für São Paulo die Leuchtmittel
ersetzt haben.
FM: … zurück zum Aspekt »Öffentlichkeit als
Labor«: Du bist offensichtlich ein Mensch, der
nicht nur an sich selbst, seiner eigenen Arbeit, den
Endprodukten in Form von Kunstwerken interessiert
ist, sondern ein Künstler, für den der Betrachter,
die Öffentlichkeit schlechthin, elementarer
Bestandteil seiner Motivation, Existenz,
Arbeit ist. Du bist sicherlich kein Politkünstler,
aber nichtsdestotrotz ein politisch engagierter
Mensch und demnach auch Künstler?
MK: Du kennst ja meinen nicht-linearen Weg in
die Kunst: Die frühe Auseinandersetzung mit den
Feldern des Sozialen (Studium der Sozialpädagogik),
den Medien (Medienpädagogik) und der
Psychologie hat mir auch deutlich die Grenzen
der Arbeitsfelder aufgezeigt. Der Verdacht, im
Feld der Kunst ließen sich alle Interessensfelder
amalgamieren, hat sich eigentlich bestätigt. Und
dazu gehört auch selbstverständlich das politische
… ich meine, wie willst Du z.B. über den Umgang
mit deutscher Erinnerungskultur arbeiten –,
ohne im Projekt auf gesellschaftspolitische Fragen
zu stoßen? Das ist natürlich im öffentlichen
Raum noch deutlicher als im Museum – Grenzen
sind ja überall –, aber im öffentlichen Raum sind
sie offensiver verwaltet …
FM: Gerade Dein interdisziplinärer Ansatz kann
– glaube ich – der Kunst in der Informationsgesellschaft
des frühen 21. Jahrhunderts jene
Aktualität (zurück)geben, da sie in der Vergangenheit
zu häufig in immanenten Diskussionen verloren
hat und deshalb des Öfteren den Bezug zur
»Alltagstauglichkeit« verweigerte.
MK: Du weißt ja, ich kann mir für meinen Arbeitsansatz
keinen anderen Zugriff auf die Projekte
vorstellen. Du bist als Künstler auch immer wahlweise
Ingenieur, Wissenschaftler und Soziologe
– und die Liste ist ja noch länger, an den kunstimmanenten
Diskursen nehme ich ja nicht aktiv
teil. Ich denke außerdem, dass meine Projekte
gleichzeitig meine Biographie sind und diese
fortschreiben, meine künstlerische Sozialisation
– und da hatte ich früh das Glück, auf unterschiedliche
Disziplinen zu treffen, die mein Denken
mit beeinflusst haben: Hier seien stellvertretend
die Medizin (siehe auch das Projekt in der
Neurochirurgischen Klinik in Krefeld mit Prof. Dr.
Frank Ulrich und die Kooperation mit Prof. Dr. Irene
Daum, Lehrstuhl für Neuropsychologie der Ruhr-
Universität Bochum) und die Psychologie genannt.
Es spielt aber auch in meinem Ansatz der
Lehre eine entscheidende Rolle – zur Zeit an der
Hochschule für Gestaltung/ZKM in Karlsruhe, im
Bereich Medienkunst. Da geht es auch um die
interdisziplinären Netzwerke, die kuratorische
Praxis, die Vermittlungsarbeit und natürlich um
die künstlerische Reflexion der studentischen
Prozesse …
FM: Ich erinnere mich gern an ein Zitat des Altmeisters
der Public Art, Daniel Buren, der in einem
Interview, dass ich vor einigen Jahren mit ihm
geführt habe, sagte, die Bedeutung und Funktion
der aktuellen Kunst heute bestehe vor allem
in der Verteidigung der Freiheit und der Propagierung
der Respektlosigkeit. Der Ausdruck
»Respektlosigkeit« hat mir sehr gut gefallen, weil
er etwas Provokatives, Aggressives, ja Anarchistisches
hat. Thomas Hirschhorn ist in demselben
Interview noch weiter gegangen und hat sich
selbst als »Soldat« bezeichnet, in einer Zeit, die
keine (herkömmlichen) Soldaten und schon gar
keine Helden mehr nötig habe.
MK: Du kennst meine Wertschätzung der Arbeiten
von Thomas Hirschhorn – da ist die Radikalität
in Konzeption und Realisierung ein wesentlicher
Bestandteil des Werkes. Und die Reaktionen geben
dieser künstlerischen Strategie Recht. Daniel
Buren hingegen zieht sich, wenn man so will, auf
ein sehr festes System zurück, das er ortsbezogen
variiert und das durch den jeweiligen Kontext
Sinnerweiterungen und Interpretationen
erfährt. Die Respektlosigkeit steht bei mir nicht
an oberster Stelle meines interventionistischen
Ansatzes, aber wie in Lüneburg oder in Stommeln
können die Reaktionen auf diese Eingriffe sehr
kontrovers sein, d. h. es wird zwar ein Tabubruch
wahrgenommen, aber er steht nicht im Vordergrund
der Idee … Es zeichnet sich in Oldenburg
eine ähnliche Tendenz ab, die Menschen fühlen
sich von den Stroboskop-Blitzen gestört, provoziert
…
FM: Wie würdest Du selbst Dich als Künstler und
die Kunst heute in den konkreten gesellschaftlichen
und ökonomischen, politischen und sozialen
Bedingungen der westlichen Welt definieren?
MK: Man spürt – denke ich – deutlich meine
westlich-soziale Herkunft und den klaren Wunsch
mit künstlerischen Projekten im Kleinen an dem
großen humanistischen Vorhaben der ›Aufklärung‹
mitwirken zu wollen. Mich faszinieren künstlerische
Prozesse, die alle gesellschaftlich relevanten
Bereiche einbeziehen, dabei einen antizipatorischen,
gelegentlich einen demokratischen
– im Sinne der politischen Transparenz – Ansatz
haben. Dabei stehen die Projekte im Vordergrund,
der Autor assimiliert sich in diesen Prozessen
und nimmt dabei einen ›kritischen‹ Platz in der
Gesellschaft ein.
*Mahnmal: an admonitory monument;
Denkmal: a commemorative monument.
In: Mischa Kuball: public blend. catalogue related the exhibition "public blend" at kunstraum muenchen, (30.April-30.Mai 2004), ed. kunstraum muenchen 2004, p.8-19.
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