Friedhem Mennekes und Mischa Kuball
Im Gespräch
Friedhelm Mennekes: Mischa, Deine große Aktion in Sankt Peter wurde
lange vorbereitet. Ich glaube fast zwei Jahre lang. Wie kam es eigentlich
zur ersten Idee?
Mischa Kuball: Die Idee ist aus der Beobachtung Deiner Aktivitäten seit
1987 entstanden. Im Gegensatz zu vielen Profanbauten hat mich inter-
essiert, daß dieser Raum erstmal keinen rechten Winkel hat, daß er sich
mit einer regelmäßigen Unregelmäßigkeit präsentiert und schon allein
dadurch eine Aufladung erfährt. Man kann an diesem Raum die Ver-
änderungen der Jahrhunderte ablesen, er gründet sich auf römische
Thermen; Man kann diesem Raum auch sehr viel Historisches abge-
winnen. Es ist ja tatsächlich passiert, daß Du – nicht ohne Absicht –
das Triptychon von Bacon ausgewählt hast mit dem verzweifelnden, lei-
denden und entstellten Menschen, und es in diesen räumlichen Zusam-
menhang gestellt hast. So verlängert sich der Dialog mit dem Raum in
den mit dem Betrachter. Die Arbeit von Bacon war für mich ein Schlüs-
sel, ein Schlüssel für die Überlegung zu sagen. „Warum immer etwas in
den Raum hineininterpretieren und -bringen?“ Sondern die Frage ein-
mal umdrehen und fragen: „Was kann der Raum aus sich heraus the-
matisieren?“
F.M.: Du hast sehr schön die zeitliche und historische Dimension des
Raumes angesprochen. eben von den römischen Thermen her. Sankt
Peter ist in der Tat, wie die Ausgrabungen in den fünfziger Jahren gezeigt
haben, gewachsen in vielen Schichten. Man unterscheidet fünf Bauschichten:
eine Kirchenschicht aus dem 6. Jahrhundert, dann aus dem 9. Jahrhundert,
dem 12., 15. und schließlich dem frühen 16. Jahrhundert. Dieser Raum ist
wirklich gewachsen. Die Ausstellungen, die wir machen, gehen von
wichtigen kunsthistorischen Markierungen aus, wie etwa Rubens, und
verlängern ihn in die Gegenwart heute. Was war eigentlich der Durchbruch
dafür, daß Du aus dem Innenraum herausgestürmt bist, um von dort aus eine
Art dialektischen Gegenschlag zu führen?
M.K.: Ich würde das ein energetisches Wechselspiel nennen. Ich stelle
mir z.B. vor, wie die Gerüste nach außen schon etwas signalisieren: Die
Kirche wird restauriert. Sie wird repariert. Sie erlebt eine neue Baupha-
se. Wenn man sich jetzt vorstellt, daß die Scheinwerfer an den Fenstern
schon von sich aus die Durchdringung von innen und außen darstellen,
wenn man das noch durch das Sonnenlicht von der Südseite unterstützt,
dann wird dieser Kirchenraum lichtdurchströmt sein. Und was da her
einströmt, ist ja das Licht, das gefiltert wird durch in sich thematische
Fenster, die Heilige und Stifter darstellen.
F.M.: Licht ist das Thema dieses Raumes, weil es ein gotischer Raum ist.
Es gibt oft fantastische Lichtspiele, vor allem in den Nachmittagsstun-
den. Es ist ein Ort, der das Licht baut. Ich erinnere mich an die Ausstel-
lung von Jenny Holzer, die in einer dramatischen Weise mit ihren elek-
tronisch bewegten Lichtern den Kampf mit den festen, alten, aber auf
ihre Weise künstlerisch lichtbewegten Bildern der mittelalterlichen
Glasmalerei aufnahm. Auch Du thematisierst eine architektonische
Dimension dieses Raumes, das Licht selbst.
M.K.: Ich habe mein Konzept immer wieder hinterfragt. Bei der Instal-
lation von James Lee Byars habe ich gemerkt, daß dieses Licht in die
Mitte des Raumes gebracht wird, von einem Punkt ausgehend, gleich-
förmig ausstrahlend. Es hatte die Formung dessen erfahren, was Du als
Skulptur beschrieben hast. In meinem Fall ist es ja so, daß das Licht von
dort kommt, wo es von der natürlichen Seite her angelegt ist, nämlich
von außen. Mich interessiert ja nicht nur der Innenraum, sondern auch
die Frage: Wo steht diese Kirche?. Das ist eine allgemeine Frage, aber
man kann sie ganz speziell auf Sankt Peter anwenden. Sie steht am Neu-
markt. Der Neumarkt steht nicht nur für Weihnachtsmarktatmosphäre,
für Straßenbahn und Umsteigen, sondern auch für Drogenumschlag
platz. Und mich hat immer fasziniert, daß Du auch diesen Dingen, die-
sen Strömungen, diesen Durchdringungen in diesem Haus einen Raum
geboten hast. Kein Zufall, meine Arbeit schließt ja im Gerüst auch die-
sen Teil der Kirche ein, wo das Methadon-Projekt läuft. Und wenn in
dem Seitenschiff das Methadon-Projekt existiert, dann ist das Teil der
Arbeit. Hier zeigt sich eine Form von gesellschaftlich relevanter Kirche
für mich, in der sich die Prozesse der Gesellschaft auch in den Prozes-
sen und Themen innerhalb des liturgischen Raumes abzeichnen. Es ist
eben nicht nur der Raum, die Architektur, die Lichtformung durch die
Gotik und den Wandel dieser Kirche durch die Jahrhunderte, sondern
es ist auch die inhaltliche Ausdeutung dieses Raumes mit all seinen
Nuancen, Schaffierungen und natürlich auch Diskussionen, die ja stän-
dig in der Gemeinde hin- und herlaufen.
F.M.: Das bringt ein anderes Stichwort: das Licht als Aufklärung. Damit
meine ich nicht nur Philosophie und Geistesgeschichte, sondern Licht
als eine Funktion.
M.K.: Ich denke mir, wenn ich einen Raum ausleuchte oder von außen
beleuchte, dann kommt alles, was da ist zur Geltung. Man könnte auch
fragen, ob Kirchen heute für solche Fragestellungen in der zeitgenössi-
schen Kunst überhaupt ein Raum sein können. Du hast auf diese Frage
die unterschiedlichsten Antworten gegeben: mit der Aktion Manresa
von Joseph Beuys, mit den Arbeiten von Droese, dem Altar von Simon,
dem Triptychon von Bacon... immer gibt es Teilantworten. So verstehe
ich auch mein Projekt als temporär und vor allem als fragmentarisch.
F.M.: Der Raum selbst bekommt ja jetzt natürlich eine andere Qualität,
weil eine andere Qualität von Licht hinzukommt, d.h. künstliches Licht.
M.K.: Ich glaube, daß es für mich gar keinen Sinn macht, gegen diese
natürliche Lichtpräsenz anzugehen. Das ist auch nicht meine Absicht.
Ich versuche nicht, eine Konkurrenzsituation aufzubauen, sondern ich
nenne das immer eine Art Laborsituation. Es ist ein Experiment. Es heißt:
Was passiert, wenn ich dieser dynamischen Struktur des Tageslichts eine
statische Struktur des artifiziellen Lichts beistelle, also nicht entgegenstelle.
Denn man kann sich ja vorstellen, daß gleichzeitig, wenn die Sonne im
Süden steht und die Scheinwerfer gezündet sind, dann wird eben das Licht
der Sonne die Scheinwerfer überstrahlen. Tritt die Sonne zurück, dann tritt
das Scheinwerferlicht stärker in den Vordergrund, d.h. es gibt eine neue
Konstanz, die aber auch die Varianz durch das Tageslicht mitthematisiert.
Auf einmal spürt man die unterschiedlichen Qualitäten von Licht. Es wird
nicht eine so harte Präsenz sein wie durch normales Fensterglas, weil die
Farbigkeit der Fenster von beiden, ebenso wie vom artifiziellen auch vom
natürlichen Licht thematisiert wird. Es wird einen Klang im Raum geben,
der durch die Farben der Fenster entsteht.
F.M.: Der Höhepunkt der Lichteinstrahlung wird normalerweise die Ost-
West-Achse sein. Der Raum ist gebaut für den frühen Abend. Wenn
ich im Sommer um 6 Uhr eine Messe feiere, dann ist es in bestimmten
Wochen so, daß die Hostie nach der Wandlung angestrahlt wird. Was
mich an Deinem Konzept — nicht ohne Beuys und ohne Manresa im Hin-
tergrund natürlich — so sehr berührt, ist die kosmische Lichtüberkreu-
zung am Abend, die West-Ost-Achse des Abendlichts und die Nord-
Süd-Achse Deiner Installation; d.h. in der entscheidenden Phase des
Tages überkreuzt sich das Licht.
M.K.: Ich will auf Dein Stichwort von der kosmischen Dimension rea-
gieren, weil es auf das Kultische in diesem Raum hinweist. Daher meine
Setzung der Nord-Süd-Achse, d.h. ich gelange über zwei neue Dimen-
sionen in den Raum. Das bedeutet, wenn das Licht am späten Abend
und am Nachmittag von Westen einfällt, dann wird es sozusagen umlagert
von dem anderen Licht. Meine Zurückhaltung rührt auch aus der
liturgischen Nutzung in der West-Ost-Richtung, die genau diese Achse
thematisiert. Das hat mit Deinem Einzug zu tun, mit der Blickachse, mit
dem dialogischen Prinzip. Ich komme im wahrsten Sinn von außen.
F.M.: Dein Licht scheint ja ein Ziel zu haben, eine Fixierung durch die
Spiegel. Das Licht drängt sich sozusagen an einen Ort, von wo es zurück-
geworfen wird. Dein Licht hat Bezugspunkte: einerseits die Fenster, die
diese Transparenz von innen und außen gotisch-klassisch vermitteln
und das natürliche Licht mit Farben versehen. Andererseits sind da die
Spiegel, die das Licht wieder reflektieren. Ich sehe darin so etwas wie
eine Verortung des Lichtes. Ist das richtig?
M.K.: Durchaus. Ich habe ja zwei Setzungen vorgenommen. Die erste
Setzung ist die Verspiegelung, die unter den beleuchteten Fenstern ange-
bracht ist. Das Licht kommt von der Seite und Menschen reagieren auf
Licht. Das Ziel, daß das Licht hat, ist ja der Mensch. Es wird nicht nur
der Raum thematisiert, sondern auch die Menschen darin. Die sehen
sich selbst, sie sehen sich im Licht, und sie können natürlich auch den
Raum miteinsehen. Während der Messe ist Dein Gewand verspiegelt.
Jetzt kommt noch eine dynamische Struktur zu den statischen Elemen-
ten, eben eine Person, die mit der Gemeinde gemeinsam diese Mitte
bezieht. Auch der Priester reflektiert das Licht. Die Arbeit heißt ja nicht
ohne Grund „Projektion-Reflektion“. Sie verweist auf das Innen und
Außen, aber erwartet auch, daß etwas zurückkommt.
F.M.: Es ist ja eine alte Tradition, daß durch die Liturgie eine Fülle von
beweglichen Reflektoren – und damit auch Lichtträger – in den Raum
einbezogen sind, d.h. es ist nicht nur ein Raum wo man hingeht und sich
etwas anschaut, was Bewußtseinsprozesse auslöst, sondern man wird
in das Licht hineingestellt, sei es natürliches oder künstliches Licht. Es
wird also sozusagen eine Lichtfeier begangen. Die Liturgie ist immer
eine Feier des Lichts und sie nützt ja auch immer das Licht. Aber ich
möchte noch Deine frühere Arbeit ansprechen, eine sehr überzeugende
Installation in der Synagoge von Stommeln. Wie weit ist unser Projekt
ein Nachklang davon? Damals ging es um den Lichttransfer von innen
nach außen, jetzt um den von außen nach innen. Wie weit stehen diese
Installationen in einer Einheit?
M.K.: Die Einheit ist vor allem in der Unterscheidung zu finden. Es gibt
sehr viele Aspekte, die die Arbeiten polarisieren. Der erste Aspekt ist
der Raum. Einmal ist es ein säkularisierter Raum, denn es gibt dort eine
restaurierte, erhaltene Synagoge, aber keine jüdische Gemeinde. Ich
habe dort mit Licht gearbeitet und den Raum selbst verschlossen. Das
Licht war auf die Nachbarn gerichtet. Es ging also um einen urbanen
und historischen Kontext. Hier in Sankt Peter wird das Licht durch Fen-
ster von außen nach innen farbig ausgestaltet. Der Raum bleibt zugäng-
lich. Es ist ein liturgischer Raum, nicht säkularisiert. Dazu kommt, daß
die Reaktionen im Raum selbst stattfinden, nicht im Außenraum. Die
Besucher werden diesen Raum erleben und hier ihre Erfahrungen sam-
meln können. In Stommeln waren sie außen vor, weil sie den Raum nicht
kannten und sich nur eine ungefähre Vorstellung von ihm machen konn-
ten. Die Arbeit in Stommeln hatte sich viel stärker an den sozialen Kon-
texten orientiert, z.B. an den Themen Asyl, Synagogenbrände, Antise-
mitismus usw. Die Frage in diesem katholischen Raum stellt sich ganz
anders. Diese jahrhundertealte Frage lautet: Was muß die Kirche ent-
wickeln, daß sie gleichzeitig Glauben und Auseinandersetzung zwi-
schen Kirche und gesellschaftlichen Prozessen vermitteln kann? Man
sieht an dieser Kirche Sankt Peter ganz genau, wie diese Verknüpfun-
gen stattfinden können.
F.M.: Ja, es gibt sicher große Unterschiede, aber ich sehe dennoch
Gemeinsamkeiten. Beide Räume sind wie immer auch genutzt, sind vom
Ursprung her sakrale Räume. Beim einen geht es darum, daß das Licht
von außen nach innen kommt und beim anderen, daß es von innen nach
außen kommt. Irgendwie sehe ich einen differenzierten Umgang mit
geistlichen Räumen. Rosemarie Trockel und Jenny Holzer haben in sehr
bewegender Weise gezeigt, daß geistliche Räume Energieräume sind,
also die Räume in die Menschen flüchten in Zeiten des Krieges, der
Depressionen, des Unglücks, des Todes, der Trauer, aber auch des
Glücks. Immer in Hoch- und Tiefzeiten, also in Extremzeiten. Ich sehe
in der Weise, wie Du mit dem Licht umgehst, etwas transparent machst,
was normalerweise nicht gesehen wird.
M.K.: Ja, ich spüre, daß sich in diesen Räumen etwas für mich auftut.
Du nennst das „energetische Fe1der‘, und die erlebe ich in anderen Räu-
men, etwa in Kunstvereinen oder Museen, eher nicht.
F.M.: Dein Projekt wird diese Kirche mehr als bisher zu einer Skulptur
im öffentlichen Raum machen. Was verbindest Du denn mit dieser Vor
stellung, daß Köln jetzt diese Lichtskulptur hat?
M.K.: Ich glaube, daß es in diesem Jahr für mich kein Zufall ist, daß ich
an drei exemplarischen Orten eine Arbeit machen kann. Die Deutzer
Brücke, Sankt Peter und das Diözesanmuseum. Und wenn man sich vor
stellt, daß die Deutzer Brücke nicht nur die Deutzer mit der Kölner Seite
verbindet, sondern eben den romanischen mit dem germanischen
Sprach- und Kulturraum; daß dieser Fluß eine natürliche Grenze war,
die ja auch von den Römern akzeptiert wurde, ja dann ist das eine ande
re Dimension, wenn man in der Stadt eine solche Vielfalt erlebt. Der Ver
sorgungstunnel der Brücke war nie öffentlich zugängig. Er ist 430 m
lang, das kann man sich gar nicht vorstellen, was das für eine physische
und psychische Dimension hatte. In Sankt Peter geht es um einen Kir-
chenraum mitten in der Stadt, am Neumarkt; das ist ein ganz zentraler
Ort. Trotzdem hat die Kirche etwas Bescheidenes, Zurückgenommenes;
hier finden Dinge statt, die nicht nach außen, sondern nach innen wir
ken. Und jetzt wird das von außen thematisiert, daß etwas von außen
nach innen wirkt, was aber nur das zur Wirkung bringen kann, was
innen schon angelegt ist. Trotz des Materialaufwandes sieht man: hier
macht sich ein Raum Gedanken über sich selbst und damit auch die
Leute, die reingehen. Wenn ich sage, ich gehe in die Kirche, dann muß
ich das begründen. Hier ist eine Konzentration von Energie, wie sie im
Museum nicht ist. Die Arbeit im Diözesanmuseum muß ganz andere
Signale und Antennen setzen. Ich denke, daß dieser Kirchenraum Spe-
zifica hat, die man mit keinem anderen Raum in Köln vergleichen kann.
F.M.: Gibt es für Dich stille persönliche Hoffnungen, die Du jetzt auf die-
sen Stationen Deiner Werkentwicklung hegst. Vielleicht etwas ganz
Konkretes, das Du für Dich erhoffst?
M.K.: Meine stille Hoffnung ist, daß in diesem Raum ein sich selbst befra-
gendes Projekt entsteht. Also der Künstler befragt sich selbst und schafft
eine Apparatur, die diese Befragung räumlich werden läßt und diese
Befragung durch die Diskussion weiterreicht, bis sie am Ende wieder
zu mir zurückläuft. Ich wünsche mir, unmittelbare Reaktionen zu
bekommen, aber nicht nur über Zeitungen oder Medien, sondern ganz
gezielt im Gespräch.
F.M.: Ich kann in diesen Wunsch einfach nur einstimmen und hoffe, daß
wir gemeinsam Wachstumserfahrung machen.
M.K.: Und wie ist das für Dich, wenn Du Dir vorstellst, daß das, was
jetzt noch Modell ist, einmal Realität werden soll?
F.M.: Nun, die Arbeit in Sankt Peter ist zur Zeit bei manchen sehr um
stritten. Wir sind im Augenblick den unglaublichsten Verdächtigungen,
ja Anfeindungen ausgesetzt. Ich hoffe, daß durch Dein Eingehen auf die
sen Ort und durch das, was hier geschieht, unser gemeinsames Anlie-
gen transparent gemacht wird. Und ich hoffe, daß das Auseinander und
Gegeneinander und auch die Infragestellung von Religion und Kunst
hier auf positive Weise vermittelt wird. Ich habe die innere Gewißheit,
daß dieser Transfer gelingen wird.
In: Mischa Kuball: Projektion Refelktion. ed.: Mariana Hanstein; Kurt Danch, Köln 1995.