Antje von Graevenitz

 

Licht als Medium der Kunst

- Kuball bei Licht besehen

 

 

„Das Licht malt!“ erklärten die Düsseldorfer Zero-Leute Heinz Mack,

Otto Piene und Günther Uecker zu Beginn der sechziger Jahre. (l) Damit

übergaben sie den Pinsel der Natur und luden das Licht ein, die Her-

stellung ihrer Kunstwerke zu übernehmen. Das hörte sich damals ganz

ungewöhnlich an, aber fast jedes Kunstwerk braucht Licht. Ohne daß es

uns besonders auffällt, entfalten Farben und Formen ihre Wirkung erst

im Licht und es ist dann, als hätten wir die Welt so noch niemals gese

hen. Licht ist sinnbildlich mit der Imagination des Menschen verbun-

den: Licht, Transzendenz, Sicht, Einsicht und Aufklärung. Auch die gei-

stigen Tätigkeiten des Menschen werden als eine Form der Erleuchtung

gesehen. Die Griechen glaubten, Prometheus habe den Menschen das

Feuer gebracht. Damit wurde Licht ein Medium, mit dem Menschen

umgehen, praktisch und geistig. Prometheus war ein Erfinder – ein arti-

fex mit künstlerischen Fähigkeiten, vielleicht der erste Licht-Künstler.

Zwar kannten die Griechen noch nicht den Begriff „Künstler“, doch ent-

wickelten sie einen philosophischen Begriff von der Nachahmung, der

sich als hilfreich erweist, denn Mimesis gibt ein Bild von der Natur, aber

auch ein Bild vom Wesen der Natur, wie Platon meinte. Der Natur

gelingt dies selbst niemals. Sie ist nur pure Natur und entwirft kein Bild

ihres Wesens. Das ist die Aufgabe der Kunst: Sie gibt in Distanz zur

Natur deren Wesen preis. Statt Wesen kann man dafür auch die Begrif-

fe Idee, Vision, Prinzip oder ganz neutral: ihre Bedeutung einsetzen. Wo

aber das Medium Licht als natürliches, echtes Licht in der Kunst eine

Rolle spielt, wird diese Ausgangslage komplizierter: Licht ist in der

Kunst 1. Natur, 2. ein Bild seiner selbst und 3. Träger von Ideen.

 

Von sich aus besitzt das Licht keine religiöse Bedeutung. Erst der

Umgang mit ihm für das Tempelbild oder Passagengrab machen die

Bedeutung augenscheinlich. Mit dem leichten, fast stofflosen Medium

Licht scheint der leichte und ebenso stofflose Geist in die Dinge zurück

zukehren. Das gilt auch für christliche Kulturen. Da die Genesis-

Geschichte des Alten Testaments „Gott als Licht“ begreift, stellte man

sich im Mittelalter vor, daß Gott selbst in allen Dingen der Welt anwe-

send wäre, die von sich aus leuchten. Edelsteine (mit denen man z.B. die

Umschläge von Manuskripten verzierte), Wassertropfen, Gold und

natürlich menschliche Augen könnten das Licht Gottes offenbaren, so

hoffte es Pseudo-Dionysos Areopagita aus dem Jahre 533 n.Chr. (2) Diese

Dinge der Welt waren kein Gottes-Symbol, sondern eher ein Gottesbe-

weis: Sie vergegenwärtigten ihn in der Epiphanie des Lichtes. Gott war

darin anwesend.

 

Heute würde man auf moderne Weise vielleicht von einer ‘allegorie reèl-

les‘ sprechen können, denn dieses Licht stellte man sich zugleich als

anwesend und als etwas vor, das seine eigene erhabene Bedeutung vor

zeigte. Erst in der Romantik pries man Lichterscheinungen analog zu

eigenen Gefühlen. Licht wurde aber bald als ein eigenständiges Medi-

um betrachtet, mit dem es sich im Gesamtkunstwerk der Künste ope-

rieren liesse. Richard Wagner fand dafür 1849/50 den entscheidenden

Begriff.

 

In dieser Tradition stand auch noch der Däne Thomas Wilfred, der erst-

mals von 1919 und vermehrt von 1922 an mit erstaunlichen Experi-

menten auf seinen Volksliederkonzerten aufwartete. Zunächst kombi-

nierte er Musik und reines farbiges Licht, anscheinend ohne irgend-

welche formale Gestaltung in seinem Apparat, dem sog. Clavilux. Das

Licht zeigte sich im Clavilux in auf- und niederwogenden farbigen Flam-

men. Selbst Wilfred wollte dieses Licht in seiner mythischen Qualität

erkannt haben: „Light, the greatest natural force, our senses can grasp,

the source and maintainer of all life and growth. But with the advent of

electricity a way opened up, and now a great new epic begins in esthe-

tics....The art of light. It has been named Lunia.“ (3) Zwar setzte sich der

Name „Lumia“ für die neue Lichtkunst nicht durch, aber Wilfreds Pro-

phetie war richtig: Der Advent einer neuen Lichtkunst war bereits ange-

brochen, parallel übrigens zu den sog. Lichtbildern (der Photographie),

die es damals bereits ein Jahrhundertlang gab, und den sog. Lichtspie-

len (dem Film), die nach ersten Versuchen um 1900 in den zwanziger

Jahren in eigens dafür gebauten Lichtspielhäusern weltweite Begeiste-

rung entfachten. Das Licht „malte“ sozusagen für sich allein, man mus-

ste ihre Kunst nur in die Bahnen der Kameras und elektrischen Kästen

lenken. Die Medien Licht und Ton schienen mit ihrer Loslösung von den

gängigen Materialien die Zeit der abstrakten Kunst des 20.Jahrhunderts

einzuläuten.

 

Als Thomas Wilfred jedoch um 1930 endlich die Notwendigkeit einer

geräuschlosen Lichtkunst erkannte, gab es diese schon seit Längerem

im Staatlichen Bauhaus. Erst in Weimar, dann in Dessau hatte diese

Hochschule für Gestaltung bereits in den zwanziger Jahren die dort leh-

renden Meister zu einer Lichtkunst ermutigt, die sie – ähnlich wie bei

Wilfred in New York – auf die Bühne brachten. Oskar Schlemmer führ-

te eine Art Lichttanz vor, wobei er mit Metall- und Glasspiegelungen

arbeitete, Kurt Schwerdtfeger und Ludwig Hirschfeld-Mack machten

Reflektorische Farbenspiele aus konstruktiven Kompositionen und der

Ungar Laszlo Moholy-Nagy benutzte nicht nur die Technik der Foto-

gramme, (d.h. eine Fotografie ohne Kamera und ohne Negativ als Resul-

tat direkten Lichteinfalls), sondern er entwarf 1926 einen Lichtraum

Modulator, den er erst 1930 ausführen konnte. Das Besondere daran

war, daß es sich bei der komplizierten Maschine nicht um eine kineti-

sche Plastik im eigentlichen Sinne handelte. Sie war nur dazu gedacht,

wechselnde Lichtformen auf Wände zu projizieren. Aber auch diese

Lichtprojektionen waren nicht das eigentliche Werk, sie dienten wie-

derum als Vorlage für ein filmisches Lichtspiel. Der Film war als End-

produkt dieses Lichtraum-Modulators. Moholy-Nagy dachte voraus

schauend über die Entmaterialisierung und Dynamisierung der Künste

nach, übrigens ganz in Sinne der Futuristen und im Zuge des realisti-

schen Manifestes der russischen Brüder Naum Gabo und Alexander

Pevsner, die bereits 1920 die Dynamisierung des Raumes und der Zeit

besungen hatten. Der Lichtraum-Modulator von Moholy-Nagy kreier-

te eine neue lichterfüllte Umwelt, in der sich der Mensch als absolut

autonom fühlen konnte.

 

Während man also zunächst in der Kunst das Licht als Sinnbild für den

Kosmos als veränderliche, vergängliche Welt oder auch als romantisches

Sinnbild für die Gleichsetzung von Licht, und Klang (Paragone) im

Gesamtkunstwerk aller Künste gefeiert hatte, setzten die Bauhaus-

künstler in der Nachfolge der italienischen Futuristen nun an ihre Stel-

le die Hymne an die neue Zeit und damit an die Dynamisierung und

energetische Aufladung des Raumes. Auch das wurde ein Mythos, wenn

er sich auch in die Form des beinahe wissenschaftlichen Experiments

und technisch geprägter Sachlichkeit kleidete. Es gab also einen roman-

tischen und einen futuristischen „Strang“ in der beginnenden Lichtkunst

des 20.Jahrhunderts. Romantisch blieb er bei den Zero-Leuten der

sechziger Jahre, futuristisch bei den kinetischen Künstlern Europas, die

sich unter dem Stichwort „Nouvelle Tendence“ von 1961 an zusam-

menfanden. Amerikanische Künstler wie James Turrell oder Robert

Irwin gingen andere Wege und installierten stille Lichträume.

Eigentümlich ‘eisige’ Lichtkuben ließ Turrell in den Ecken musealer Säle

entstehen, die sich beim näheren Hingehen nur als flach projiziertes

Licht erwiesen. In der spezifisch amerikanischen Variante der Lichtkunst

gibt es keine Lichtspiele zu erleben, keinen Prozess einander ablö-

sender Lichtbilder wie bei der europäischen Lichtkinetik. Man erwartet

vom Betrachter ein stilles Verharren und Meditieren vor Lichtphä-

nomenen, die Sein als Schein ausgeben. Religiös ist diese Lichtkunst

nicht gemeint, eher geht es um Wahrnehmungsphänomene, um Gestalt,

mit der sich auch die in Amerika besonders entwickelte Gestaltpsycho-

logie beschäftigt hat. Das Ziel war hier die Selbstfindung des Menschen

über Wahrnehmungstherapie und Selbstwahrnehmung.

 

Mischa Kuball sucht einen eigenen Weg. Er fühlt sich mehreren der

genannten Traditionen verpflichtet, der europäisch romantischen und

futuristischen Lichtkunst und der amerikanisch meditativen. Zu dieser

Einsicht konnte man 1993 anläßlich seiner Ausstellung in Amsterdam

kommen. Zunächst weckte sie eine lokale Assoziation: Jeden Abend

erscheint auf dem Fernseher in den Niederlanden mehrfach die blaue

Welt der NOS Nachrichten mit dem roten Stab, der sich drehend als

Rechteck entpuppt. Eine bestimmte Bedeutung scheint dieses Logo nicht

zu haben, aber es tanzt mit der Musik, bis die Nachrichten beginnen

Diese Verbindung von geometrischen und figurativen Formen zeigte

auch Kuball in seiner Licht-Installation im Stichting de Appel in Amster-

dam. Auch dort gab es diese Projektion eines weißen Rechteckes auf

einer Weltkarte. Allerdings waren die Kontinente in die Länge gezogen

und deshalb nicht sofort wiederzuerkennen. Eigentlich gaben sie sich

nur solange abstrakt, wie sie an keine bestimmte Bedeutung erinnerten.

Man musste die Konturen lesen. Die eine Konturlinie erschien vielfach

hin- und herschweifend, die andere scharf und geometrisch. Beide For-

men: die Kontinente und das Rechteck zeigten sich als vergleichbares

Gestalten.

 

Weitere Lichtprojektionen im Raum ergaben ähnliche „Form Gespräche“,

sowohl zwischen den geometrischen Projektionen unter einander, als auch

zur Form der Wand, die durchaus nicht nur als Bildträger mitspielte, sowie

weiteren Projektionen auf der Rückseite der Wand. Dieses elementare

Lichtspiel erinnerte an das Bauhaus, ohne dass es dort jemals Kuballs

Lichtlösungen gegeben hätte. Dort waren die Bauhausmeister von Paul

Klees Bildelementen ausgegangen. Dennoch gehört Kuballs Werk in den

historischen Rahmen und so schien es selbst verständlich, daß er 1992 im

Treppenhaus auf jedem Stockwerk des Dessauer Bauhauses seine Licht-

kästen mit wechselnden geometrischen Lichtflächen ausstellte. Er suchte

diese geschichtliche Nähe wie einst die Düsseldorfer Zero-Künstler Mack

und Piene, die Ende der fünfziger Jahre wieder Bauhaus-Bücher lasen, um

etwas über die legendäre Lichtkunst zu erfahren.

 

Vor einigen Jahren betrachtete ich in Kuballs Düsseldorfer Atelier seine

damaligen Lichtprojektions-Arbeiten, die aus Holzkisten auf den Fuß-

boden gerichtet waren. Eine dieser Kisten hatte die Form eines Haken-

kreuzes, und als ich mich etwas eingesehen hatte, erkannte ich auf dem

Fußboden stark verzogene Filmstils, die aus dem Hakenkreuz hervor

zukommen schienen: sie stammten aus Hitlers Lieblingsfilmen, die ihm

regelmässig zum Tee oder nach dem Abendessen auf den Obersalzberg

vorgeführt wurden, wie Albert Speer in seinen „Erinnerungen“ berich-

tet hat. An sich wirkten diese Filmstills wohl ziemlich süßlich, doch hatte

Kuball sie auf eine fast gewalttätige Art bis zur Unkenntlichkeit auf dem

Atelierfussboden verzogen. Gerade die Unschärfe der Projektionen wies

nun auf Kuballs kritischen Abstand vom historischen Geschehen und

bezeugte zeitgenössische Nonchalance. Damals erzählte Kuball, daß er

von politisch engagierter Kunst lassen und sich lieber mit den Eigenschaf-

ten abstrakter Lichtprojektionen beschäftigen wollte. Er plante damals

eine riesige Lichtwand im deutschen Pavillon auf der Weltausstellung

in Osaka. Könnte sein Thema „Welt“ in Amsterdam davon übriggeblieben

sein?

 

Früher traf man in der Kunst strenge Unterscheidungen zwischen den

figurativen und geometrischen „Welten“. Auf der Kampflinie wurden

von den Vertretern beider Lager heftige theoretische Kämpfe ausge-

fochten, gleich ob in Paris, Moskau, St. Petersburg, Hannover, New York,

Mailand, München oder in Dessau. Dem figurativen oder abstrakten

Bild wurden, je nachdem, ethische und progressive oder traditionelle

Qualitäten zugeordnet. Erst heute haben sich die Wogen geglättet: Figu-

rative und abstrakte Formen werden nur noch als Zeichen gelesen. Die

Gestalttheorie macht sowieso keinen Unterschied mehr zwischen Zei-

chen, wichtig ist für sie nur, was der Betrachter wahrnimmt und wie

sein Bewußtsein damit arbeitet. Da Kuball auch Bilder des Rorschach-

testes mit abstrakten Formen in seinen Projektionen mischt, zeigt er

nochmals, daß sein Glaube an die Reinheit und Überlegenheit abstrak-

ter Kunst gegenüber der figurativen gewichen ist.

 

Der Betrachter hat nun letztlich das Sagen; er macht aus, wie er sein

Weltbild formen will.

 

Das Besondere an der Lichtkunst ist ihre dreifache Bedeutung als Natur,

als Bild und als Träger für Ideen. Dem Licht wird so eine Fähigkeit zur

säkularen Epiphanie zugesprochen: die scheinbare Fähigkeit der Natur,

Bedeutung zu offenbaren. Damit wird der Gedanke der antiken Mime-

sis erweitert. Natur und Kunst stehen nun innerhalb des Bereiches Kunst

nicht mehr in einem gegensätzlichen Verhältnis zueinander. Licht ist

das reinste Material für die Kunst dieses Jahrhunderts, aber es bleibt

vielfach in seiner Bedeutung mit den großen Mythen dieses Jahrhun-

derts verbunden: dem neo-romantischen Mythos vom reinen Licht und

dem reinen Menschen, dem futuristischen Mythos von der Dynamik als

Sinnbild des Fortschritts, dem Mythos der Aufklärung über Wahrneh-

mungsuntersuchungen, der den vernünftigen Menschen vor Augen hat

und dem Mythos von der Selbstfindung in Meditation. Es mag offenbar

geworden sein, daß Lichtkunst eng mit der Kunst des Modernismus ver-

schwistert ist und vielleicht sogar als ihr ‘corpus delicti‘ betrachtet wer-

den kann.

 

 

 

Anmerkungen

 

(1) Zit. von Otto Piene in: Kat. Otto Piene. Gal. ad libitum. Antwerpen 1962

(2) Vgl. Assunto, Rosario: Die Theorie des Schönen im Mittelalter. Köln 1963 S.126

(3) Zit.in: Kat. Kunst Licht Kunst. Stedelijk van Abbemuseum Eindhoven 1966 nr.10

 

 

 

 

Mischa Kuball: Projektion Refelktion, ed.: Mariana Hanstein; Kurt Danch, Köln 1995


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