Hans Gercke




Autonom und offen

Bemerkungen zu Mischa Kuballs

BAUHAUS-BLOCK

 

 

Man hat der verlorenen Einbettung der Kunst in die festgefügten Zusammenhänge von Ritus, Gesellschaft und Alltag oft nachgetrauert und von einer neuen Verschmelzung von Kunst und Leben geträumt. Seit der endgültigen Emanzipation der Kunst aus einem sie (fremd-)bestimmenden Kontext sind die Klagen um ihre Ortlosigkeit nicht wieder verstummt, und die Utopie vom „Gesamtkunstwerk“ trat im gleichen Augenblick auf den Plan, in dem der „Verlust der Mitte“ evident wurde. Dabei entwickelte sich eine Spannweite der Möglichkeiten, die vom Konstrukt eines elitären „Gottesstaates“ der Kunst – Max Ernst läßt das „Rendez-vous des Amis“ vor der über dem Alltag aufscheinenden Alpenkette stattfinden – bis zum „all is pretty“ des Andy Warhol und der Mystifizierung des Alltäglichen in der Material-Ästhetik der Marcel-Duchamp-Nachfolge reichte.

 

Charakteristisch ist, daß in all diesen – noch so verschieden gearteten – Fällen die Kluft dennoch nicht behoben, sondern eher vertieft wurde. Denn die Freiheit der Kunst sperrt sich gegen Integration, Kunst  fügt sich nicht ein, sie ist Sand im Getriebe und Störfaktor, und man sollte dies nicht beklagen, sondern einsehen, daß dem so sein muß, ja — daß dies sogar die wichtigste und vielleicht sogar einzige Daseinsberechtigung ist, die Kunst in einer nach-autokratischen Gesellschaft hat.

Diese — durchaus politische — Funktion ist zweifellos der Rolle vergleichbar, die in früheren Epochen der Hofnarr hatte, und bekanntlich haben sich zahlreiche Künstler unseres Jahrhunderts selbst im Bilde des Narren porträtiert.

Wo Kunst identisch wird mit den Strukturen der sie tragenden Gesellschaft, ist die Gefahr des Totalitären unmittelbar präsent: Die Vorstellung der Nationalsozialisten von ihrem Idealstaat, aus dem alles ausgemerzt werden sollte, was nicht „ins Bild“ paßte, war durchaus eine ästhetische.

Oder aber die Kunst verliert an Brisanz und wird zum Design. In diese Gefahr wäre auch Mischa Kuball geraten, wenn er der Versuchung nach gegeben hätte, sein Düsseldorfer „Megazeichen“ als dauerhaftes Signet zu installieren bzw. dem Wunsch anderer Firmen zu folgen, ein vergleichbar attraktives „Markenzeichen“ für sie zu entwerfen.

Nein: Mischa Kuball ist dieser Gefahr nicht erlegen, und auch sein derzeitiges Projekt, der BAUHAUS-BLOCK, von dem in diesem Buch die Rede ist, macht nur Sinn als temporäre Installation.

Auch das Bauhaus verfolgte ja die Utopie, Alltag und Kunst, Mensch und Maschine, Ar-beitswelt und Ästhetik miteinander zu versöhnen. Daß dabei großartige, über zeugende Synthesen zustande kamen, ist keine Frage, dies beweist nicht zuletzt die Architektur des Hauses, in dem diese Ausstellungs-Reise beginnt.

Dennoch ist das Bauhaus, wie man weiß, im Ganzen gescheitert, hat zumindest, wenn man die zahllosen architektonischen Mißgeburten bedenkt, die sich — zweifellos nicht zu Recht, aber auch nicht völlig zu Unrecht — auf das (mißverstandene) Bauhaus berufen, nicht nur positive Folgen hervorgebracht.

 

Mischa Kuballs Kunst ist eine Kunst, die sich einmischt, die unauffällig und überraschend interveniert, die mit einfachen, lapidaren Zeichen vor Ort einen Kommentar einbringt, der beides anspricht: Das Stereotype und seine kreative Durchbrechung, die visionäre Idee und die Gefahr ihrer Banalisierung, oder genau andersherum: Das Banale und seine visonäre (sic.) Entfaltung; mit Mischa Kuballs eigenen Worten: Der polare Dialog von Kairos und Katastrophe.

 

So wandert denn diese Ausstellung durch zahlreiche, sehr verschiedene Räume — Räume im durchaus weitesten, vielschichtigen Sinn dieses Wortes. Und sie verwandelt sich dabei chamäleonhaft, wirkt katalysatorisch, behält jeweils ihre unverwechselbare Identität und entsteht doch immer wieder neu, anders und eigen.

 

Diese Offenheit, die nichts von Unverbindlichkeit hat, sondern im Gegenteil aus der Polarität des Dialogischen ihre Lebendigkeit schöpft, ist für Mischa Kuballs Werk generell charakteristisch. Im BAUHAUS-BLOCK wird dieses Prinzip in einer Weise ausgeweitet, die sich nicht nur auf den engeren ästhetischen Bereich bezieht: Kuball macht nicht halt vor Büros und Kantinen, vor Arbeits- und Kommunikationsräumen. Er greift auf, was dort entsteht und bezieht es in seine Arbeit ein, inszeniert Interferenzen und Rückkoppelungen. Dabei drängt er sich nicht auf, sondern agiert taktvoll, ebenso bestimmt wie diskret: Es ist durchaus möglich, in diesen Tagen durch das Dessauer Bauhaus zu gehen, ohne Kuballs Kunst als solche zu erkennen.

 

Dieses spielerische, ironisierende, zugleich aber ganz ernsthafte, konsequente und in seiner Intensität bei zunehmender Beschäftigung immer nachhaltiger überzeugende Sich-Einmischen ist dann doch eine Möglichkeit, die Kluft zwischen Kunst und Alltag zu überwinden, ohne die Eigenständigkeit der Kunst auch nur im Ansatz in Frage zu stellen.

 

Kuballs Arbeiten stehen somit für einen aktuellen Trend, der als symptomatisch betrachtet werden kann für den dialektischen Schritt, der von der systemgebundenen Kunst früherer Jahrhunderte über das bürgerliche Verständnis einer „freien“ Kunst zu einer neuen Synthese führt, die polar und ambivalent ist und affirmative und kritische Momente in sich vereint. Eine solche Kunst ist autonom und offen, „konkret“ und — freilich nicht im plakativ-moralisierenden Sinn — politisch zugleich.

 




In: Mischa Kuball: Bauhaus-Block, ed.: Lutz Schöbe, in order of Bauhaus Dessau Edition Crantz, Stuttgart 1992, p. 117-119.

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