MISCHA KUBALL »SPRACHPLATZ - PLATZSPRACHE«
THE LANGUAGE OF LIGHT
1.
Wer Weimar mit dem Zug erreicht, wird zunächst, nach Überquerung des Bahn-
hofsplatzes, eine kleinstädtische, gutbürgerliche Straße des ausgehenden 19.
Jahrhunderts entlang in Richtung Innenstadt geführt. Vor die Erreichung des klas-
sischen Weimar haben die Stadtplaner indes eine Barriere gesetzt. Was sich am
Ende der Carl-August-Allee querliegend in den Weg stellt, ist das ehemalige
»Großherzogliche Museum«, 1869 eröffnet für die Präsentation des Odyssee-
Zyklus des Hofmalers Friedrich Preller d. Ä. Mit der Umwandlung zum Thüringi-
schen Landesmuseum widmete sich das Haus ab 1922 auch der zeitgenössischen
Avantgarde. 1923 wurde hier eine »Abteilung für neue Kunst« eingerichtet, mit
Ausstellungen von Walter Dexel, Theo van Doesburg, El Lissitzky oder László
Moholy-Nagy. Unter dem Innen- und Volksbildungsminister Wilhelm Frick, einem
bekannten Nationalsozialisten, begann der Bildersturm hier bereits ab 1930; die
Moderne wurde abgehängt. 1939 waren hier die Wanderausstellungen »Entartete
Kunst« und »Entartete Musik« in einem Hause zu besichtigen. Von 1933 bis 1937
residierte Gauleiter und Reichsstatthalter Fritz Sauckel in den Räumen des Lan-
desmuseums.
»Nahezu zeitgleich mit der Errichtung des KZ Buchenwald begannen 1937 auch
die Bauarbeiten für das Gauforum. Der Entwurf von Hermann Giesler wurde auf
Hitlers Wunsch durch eine große Versammlungshalle sowie einen hohen Glok-
kenturm (sic) ergänzt. Das Forum galt als Ausgangspunkt für die nationalsozialistische
Umgestaltung der Stadt. Das ‘Neue Weimar‘ sollte ein ‘schließendes und verbin-
dendes Glied‘ auf der Achse Berlin – Nürnberg – München bilden und neben der
deutschen Hauptstadt, der ‘Stadt der Reichstage‘ und der ‘Stadt der Bewegung‘
ein Zentrum für reichsweite Kulturveranstaltungen werden.« (1) Links an das
Museum schloß sich nach Vorstellung der nationalsozialistischen Planer das
»Gebäude der Gliederungen der NSDAP« (wie Hitlerjugend, SA, SS, Arbeits-
dienst, BdM etc.) an. Den östlichen Abschluß sollte die gigantische »Halle der
Volksgemeinschaft« bilden. Im Süden lag das »Gebäude des Reichsstatthalters
und der Gauleitung« mit Glockenturm, im Westen das »Gebäude der deutschen
Arbeitsfront«. Am 1. Mai 1937 wurde der Grundstein für die Anlage gelegt. Dafür
wurde der Portikus der »Halle der Volksgemeinschaft« im Maßstab 1 : 1 aus Holz
errichtet. Historische Fotografien zeigen, daß durch an den Seiten aufgebaute
Fahnenreihen die Dimensionen des Aufmarschplatzes (des heutigen Innenhofes)
markiert wurden, auf dem rund 40.000 Menschen versammelt waren. Entlang die-
ser Fahnenreihen finden sich heute die historischen Gebäude.
Während des Zweiten Weltkrieges blieben die Bauten des Gauforums unvollen-
det; nach 1945 wurde ein Teil der Baumaterialien für die Errichtung der Gedenk-
stätte Buchenwald verwendet. Bis 1950 wurden, nach Umbau und Fertigstellung
der Gebäude, diese von der sowjetischen Militäradministration in Thüringen
genutzt. Bis 1990 gab es eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen; so waren hier
die Agrar-Ingenieurschule »Walter Ulbricht«, die »Arbeiter- und Bauernfakultät«
der Hochschule für Architektur sowie die Fachschule für Staatswissenschaften
untergebracht. Am 4. Mai 1945 wurde der ehemalige »Platz Adolf Hitlers« in
»Karl-Marx-Platz« umbenannt. Seit 1991 gehörte dieser Platz namentlich zur
»Carl-August-Allee« (2), heute heißt er »Weimarplatz«.
Heute liegt das ehemalige Gauforum (und dieser Begriff hält sich in der umgangs-
sprachlichen Benennung in Weimar bis heute) wie ein schwarzes Loch im histori-
schen Weimar. Die Einrichtung eines Parkplatzes auf dem inzwischen von einer
Landesbehörde genutzten Gelände wiederholt in merkwürdiger Weise, linear und
in Reih und Glied, die Gliederung der historischen Architektur. Eigentlich, das
wird durch die Nutzung als Parkplatz deutlich, sollte dieser Innenhof als Platz mit
überraschenden Dimensionen verschwinden. Das sichtschützende Grün entlang
der Straße, die Abgrenzung des Platzes durch Schranken und Häuschen für die
Parkwächter sollte ihn aus der historischen Zeit heben, hinein in die Zeitlosigkeit
heutiger funktionaler Orte. Auch die Baugliederung des Rohbaus der ehemaligen
»Halle des Volkes« durch einen Umbau während der DDR-Zeit und die spätere
Nutzung als Lager-, Büro- und Fabrikgebäude, sowie im Erdgeschoß als Restau-
rant, behebt und verändert nichts an der Gewalt der historischen Anlage.
Mit dem Gauforum kam eine Größenordnung architektonischer Planung nach
Weimar, wie sie in der Stadt so niemals angelegt war. Noch heute ist die enorme
Dimension des Gebäudes auch ein Grund dafür, daß eine wirkliche Bewältigung
der Frage der Nutzung und historischen Aufarbeitung nicht stattgefunden hat.
»Vielmehr wird das Gauforum als namenloser Fremdkörper weder abgestoßen
noch akzeptiert, sondern nur verdrängt.« (3) Das Gauforum als Unort (eben einer,
der sich seiner wirklichen Besetzung fortwährend entzieht) stellt noch heute
Ansprüche an die historische Residenzstadt Weimar. Größer als das historische
Stadtschloß, lagert sich dieses Zentrum aller nationalsozialistischen Ansprüche
an Staat und Gesellschaft vor die Stadt der Dichter und Denker. Buchenwald ist in
Weimar nirgends mehr präsent als gerade hier.
Rolf Bothe, der Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar, hat die Schlußfolge-
rungen aus der Situation gezogen: »Unabhängig von allen Nutzungsstrategien
müssen wir uns bewußt sein, daß der verantwortungsvolle Umgang mit dem
Gauforum eine der wesentlichsten Herausforderungen für die Kulturstadt Wie-
mar ist. Ziel aller Überlegungen muß es sein, das ‘Gauforum in das städtische
Leben einzubinden, ohne seine unheilvolle Bedeutung zu ignorieren. Bei den ent-
sprechenden Planungen kommt dem Umfeld wie Landesmuseum, Stadtmuseum
und der kulturell zu nutzenden Weimar-Halle eine wichtige Funktion zu.
Geschichte und Kunst sowie deren Vermittlung an das Publikum können dazu bei
tragen, das Gebiet um das Gauforum‘ für die Weimarer Bevölkerung und die
Besucher der Stadt zu einem Ort der Begegnung werden zu lassen.« (4)
2.
Mischa Kuball setzt in seinem Konzept für das Projekt »Licht auf Weimar« die
Welterfahrung des Einzelnen der Erfahrung der Gruppe und Masse gegenüber,
wie sie baulich und organisatorisch in der Gliederung des historischen Gaufo-
rums angelegt ist. Nichts könnte krasser den Ideen eines geistig elaborierten, an
den schönen Künsten orientierten, philosophischen und dichterischen Weimar
gegenüberstehen als diese Sammelstätte des organisierten, kasernierten, in Reih
und Glied aufmarschierenden einheitlichen Willens. Im Gauforum wurde in Quan-
titäten gedacht, während das klassische Weimar die Idee der Qualität repräsen-
tierte. Zeremonielle Feierformen, wie die Einrichtung eines Glockenturms und die
Einführung einer Weihehalle zeigen, daß diese Formen des Bauens dem Sakral-
bau entlehnt sind. Die Überhöhung des Massenerlebnisses ins Religiöse hinein
war es, in dem sich nach Auffassung nationalsozialistischer Planer und Baumeis-
ter das Wollen der Bauherren, die Organisationsform der Gesellschaft und das
Erlebnis des Einzelnen, aufgehoben im Großen und Ganzen, treffen mußten.
Mischa Kuball setzt an diesem Widerspruch von Individuum und Masse an. Kein
Zeitgenosse am Ende des 20. Jahrhunderts kann den Widerspruch übersehen, der
in der einreihenden und entindividualisierenden Architektur und seinem isolier-
ten, eigenen Erleben dieses Raumes liegt. Im Gegensatz zu anderen großen
gegliederten Anlagen, wie etwa dem Innenhof des Stadtschlosses, in dem immer
noch das Erlebnis der Architektur durch den Einzelnen thematisiert wird (man ver-
gleiche dazu nur den Stern in der Platzmitte, der auch den Punkt bezeichnet, von
dem aus sich rundum die Architektur durch eine Einzelperson erleben läßt), ist die
Platzanlage des Gauforums auf das Prinzip der Reihung und Einreihung, der Ord-
nung und Unterordnung gezielt. Der heutige Bauzustand mit Parkplätzen, die sich
in Reih und Glied den Verläufen der Architektur zuordnen, sieht wie eine spöttisch
kommentierende Fortsetzung dieses Ordnungsprinzips aus.
Mischa Kuball bezieht sich auf diese Diskrepanz von Einem und Vielen; er stellt
den einzelnen, den unbenannten Betrachter, den Menschen, der diesen Platz als
Ereignis für einen Menschen erlebt, in den Fokus seiner Arbeit. Kuball luchst die-
sem Platz Reaktionen ab; er macht ihn als den Fremdkörper begreifbar, den er in
der Stadt darstellt. Das geschieht mit einfachen Mitteln; mit Hilfe von Licht und
Sprache erschafft er eine andere, ephemere und nur auf zeitliche Präsenz ange-
legte Platzstruktur. Ein Scheinwerfer beleuchtet vom Turm des Gauforums aus,
punktuell und akzentuiert, den Platz; nach einem Zufallsprogramm gesteuert,
wandert dieser Scheinwerfer über den Platz, als verfolge er eine handelnde Figur
wie auf einer Bühne, oder als suche er eine solche; ohne daß jedoch dabei eine
handelnde Person im Fokus des Lichtes stünde.
Das Licht wandert zufällig, keine Absicht ist diesem Verlauf zu entnehmen. Das
Licht, das hier bei Nacht zu sehen ist, fokussiert nichts anderes als einen Einzel-
nen, den es aus der Gruppe (den vielen vorstellbaren Einzelnen) heraussucht.
Während dieser Lichtbewegung sind keine Klänge auf dem Platz zu hören, keine
Sprache, keine Musik. Erst wenn die Bewegung des Scheinwerfers anhält, das
Licht für einen Moment verharrt, setzt eine Klangstruktur ein, die eine »undeut-
liche und nicht dekodierbare Sprache benutzt, um sich auf dem Platz akustisch zu
verorten« (Mischa Kuball). Diese Klänge vermischen sich mit dem Straßenlärm
der Stadt, mit dem Lärm der an der kurzen Seite des Platzes durch die Anlage fah-
renden Autos, im Echo der Architektur. Sprach- und Lichtspuren durchqueren den
Platz, sie greifen die Umgebung auf, die historische Situation wie die gegenwär-
tige; die Nutzung der alten Vorfahrtsstraße für die Verkehrsführung heute, unter
Verzicht auf jede Einbindung dieses durchgehenden Verkehrs in die Platzstruktur
ist, was Kuball mit seiner Intervention in diese Platzstruktur erst als vorhanden,
aber von uns nicht reflektiert erfahrbar macht.
Der Unort des Gauforums wird hell in Kuballs Arbeit, gerade weil der Künstler in
das Dunkel, das den Ort (nicht nur bei Nacht) umgibt, das Licht setzt, den Klang
menschlicher Stimmen. Die Zuschauer werden zu Akteuren auf einer Bühne, dem
Platz; ihre Sprachlosigkeit den vorgegebenen Ordnungen gegenüber weicht dem
Dialog, den der Platz in der Inszenierung durch den Künstler mit seiner eigenen
Bauform, seiner Vergangenheit und vielleicht seiner Zukunft führt.
Anmerkungen
(1) Marie-Luise von Plessen, Zeitreisen zu Fuß in Weimar, Weimar 1999, S. 119
(2) Vgl. dazu von Plessen, S.123
(3) Rolf Bothe, Offenlegen statt Zudecken, in: Weimar Kultur Journal, Heft Nr.4, April 1995, S. 25f.
(4) a.a.O.