Johannes Stahl (BAUHAUS-BLOCK)



Weitere Entwürfe zur Heimat

Mischa Kuballs Interventionen am Bauhaus in Dessau

 

 

Bauhausgeschichtsschreibung:

eine Vorbemerkung

Das einschlägige Architekturlexikon formuliert es in verführerischer Knappheit: „Das

Bauhaus war die wichtigste Kunstschule des 20. Jahrhunderts.“ (1) Die Ausstrahlung, die

sich in diesem Satz aus berufenem Munde niederschlägt, geht weniger von den tat-

sächlichen Ergebnissen des Bauhaus aus, als von der Fülle an innovativen Zielsetzungen

und der konsequenten Gedankenarbeit dieser Institution für Kunst, Pädagogik und

Gestaltung.

 

Das Einbeziehen rationaler Forderungen in die gestalteten Formen hat eine erstaunlich weite

und in diesen Ausmaßen am Bauhaus möglicherweise nicht beabsichtigte Wirkung erzielt.

Den zugrundeliegenden gedanklichen Haltungen ist weniger Erfolg beschieden gewesen –

die Kinder haben die Revolution vernascht.

 

Wo verliert sich die Spur der Bestimmtheit, mit der das Bauhaus antrat? Einer von heute

ausgehenden Perspektive können sich die gleichermaßen umfassenden wie untereinander

verschiedenen Weltentwürfe, die zeittypisch am Bauhaus gewagt wurden, nicht recht er-

schließen. Zwar fördern Forscher Programmatisches aus den Zwanzigern zutage und die

Bauhausgeschichtsschreibung kennt ihre Fachauseinandersetzungen in der Bewertung

des einen oder anderen Umstands oder der einen oder anderen Person. De facto scheint

jedoch das Bauhaus seinen Ruf mehr durch diffuse Auswirkungen zu haben als durch

unmittelbar greifbare oder gar herleitbare Traditionen. Zu fragen wäre also nach der

ästhetischen Erziehung der Nachkriegsgeneration, zu der auch Mischa Kuball gehört, in

Kindergärten und Schulen beispielsweise, nach Design- und Baugedanken des Wieder-

aufbaus. Bei einer solchen hochspekulativen Bemühung muß fraglich bleiben, ob sich

eine Spur zum Bauhaus zurück überhaupt auffinden läßt. Eine weitgehend personenbe-

zogene Polemik wie die von Tom Wolfe (2) bietet zwar einen Ansatz, trägt aber letztlich

nur zur ohnehin reichlichen Mythenbildung bei. Das Dilemma bleibt: während man sich

mit den Mitteln des Historikers in die Bauhauszeit zurückversetzt, sitzt man wahrscheinlich

gleichzeitig auf einem Stuhl, der ein möglicherweise wenig geglücktes Derivat der da-

maligen Produktion ist.

 

 

Kinderbauhaus – Bauhauskinder

Mein Dreirad war stromlinienförmig, aber in den Elementarfarben Blau-Rot-Gelb gehalten.

Die ersten Intelligenzspiele, denen ich ausgesetzt war, bestanden aus roten, gelben und

blauen Ringen, die ich der Größe nach auf ein Gerüst aus unbehandeltem Holz aufreihen

sollte. Wenn ich es richtig gemacht hatte, war eine Figurine entstanden. Blau-Rot-Gelb

waren meine Lego- und Plastikantbausteine, aber mir war die Farbwirkung meiner frühen

Bauten entschieden weniger wichtig als die kindliche Utopie, mein großes Elternhaus nach-

zubauen.

Zu den am intensivsten wirkenden Bildern meiner Jugend zählen Leuchtspurdias. Die Foto-

grafen verrieten mir nicht, wie sie gemacht wurden, noch viel weniger ihren kunstgeschicht-

lichen Hintergrund – wahrscheinlich kannten sie ihn auch nicht besonders gut. Als ich in der

Schule die erste Kunsterziehung genoß, bekam ich einen Farbenkasten und sollte zunächst

rechteckige Farbfelder nebeneinander aufs Papier bringen. Die erste quadratische Schokolade

kam auf den Markt. Mein erstes selbsterworbenes Möbel war ein sehr kubischer, unibezogener

Schaumstoffsessel, der sich höchst variabel in eine Matratze verwandeln ließ: das Bauhaus

hat Generationen beeinflußt, ohne daß erklärbar ist, wie.

 

 

Bauhäusler und Häuslebauer

Selbstverständlich stand man am Bauhaus regelmäßig im Konflikt mit der Biederkeit.

Bezeichnend ist ein im einschlägigen (2) Wasmuths Lexikon der Baukunst“ ablesbarer Wertum-

schwung. Die 1929 erschienene Ausgabe stellt es nur kurz und programmatisch vor. (3) Die

Neuauflage von 1937 macht dagegen in zeittypischer Manier Front gegen die bereits abgewickelte

Institution: „Das Bauhaus hat zum Teil gute Arbeiten hervor-gebracht (Keramik, Metallgegenstände,

Tapeten, Stoffe). Dagegen wurde aber auch manche zwecklose Materialspielerei betrieben und

bisweilen hat eine zweifelhafte politische sowie ästhetische Programmatik die sachliche Werk-

arbeit verunklart.“ (4)

 

Die bewußt auf landläufige Wertmaßstäbe zielende Formulierung von der „sachlichen Werkarbeit“

hat ihrerseits Auswirkungen. Während sich das Bauhaus an die Architektur als die erklärter-

maßen größte ihrer Aufgaben nur allmählich und mit Skrupeln machte, ist Bauen gerade in

der Anwendung der rationalisierten Möglichkeiten fast jedermann möglich.

 

Betonmischmaschinen sind weitverbreitet unter Privatleuten und eine Bohrmaschine hat fast

jeder. Resultate, die das Dach über dem Kopf nach Gebrauchsanweisung mit umfangreichen

Versorgungseinrichtungen und ein bißchen Kultur nachbessern, bleiben bei aller Liebe zum

entfesselten Bastlertum ein bitteres Kondensat aus einer unter anderen Zielsetzungen am

Bauhaus. Das seiner ureigensten ästhetischen Ziele entledigte Bauhaus läßt dann lediglich

an die Supermarktkette gleichen Namens denken. Vielleicht ist es ein bezeichnender Um-

stand, daß man sich seinerzeit den Namen nicht schützen ließ...

 

 

Bauhausgebäude

Lyonel Feiningers reichlich expressive „Kathedrale des Fortschritts“ zierte den Um-

schlag des Bauhausmanifestes von 1919 auch deshalb, weil die Bauhausschule selbst

noch nicht über einen solchen Programmbau verfügte, aber gleichzeitig als Zielpunkt

ihrer gebündelten Bestrebungen anpeilte. Erst mit dem Gropiusgebäude von 1926 war

eine architektonische Form vorhanden, die von den Bauhauskünstlern immer wieder im

Rückbezug aufgegriffen wurde. Der blockhafte Baukörper ließ immer wieder sehr unter-

schiedliche Sichtweisen zu, sei es in der Malerei Oskar Schlemmers, der die bühnenhafte

Transparenz des Treppenaufgangs nutzte oder in der Fotografie, die Fotos der Balkone

des Prellerhauses dynamisch-diagonal ins Bild setzten. Offensichtlich arbeitet das Ge-

bäude geschickt mit Identifikationspunkten, die sehr verschiedene Erwartungen be-

dienen. Die ostentative Glasfassade nährt die Sichtweise eines hierarchielosen Gebäudes,

während der Ehrenhof zu Füßen des zentralen Gropiusbüros durchaus in der Tradition

von Schloßbauten liegt oder der Prellerbau durchaus als Bergfried wirken konnte. Die

verschiedenen Signalwirkungen dieses Gebäudes (5) dauern noch an: der Autor reiht

sich ein in die Schar der Vorbeigereisten und erwähnt das gehörige Entsetzen wegen

des Zustands der Meisterhäuser nur, weil es Teil des Pilgerprogramms ist.

 

Im März 1984 präsentierte man das Gebäude stolz einer angereisten Studentengruppe:

die „vorbildliche Sanierung“, insbesondere der Glasfassade, stand im Vordergrund.

Aus dem Westen kommend und darauf sorgfältig konditioniert, spürten wir an-

gehenden Kunsthistoriker die gescheiterte Utopie dieses Ortes besonders deutlich

im Kontrast zur mehr als biederen Umgebung und der betont sozialistischen Namens-

gebung der Ernst-Thälmann-Allee. Im Gebäude selbst irritierten Spuren einer

Nutzung als Schulraum: die Weltkarte.

 

 

Raumkunst— Kunstraum: Kuballs Bauhaus

Zwei Architekturdetails haben das Bauhaus berühmt gemacht: die Ecklösung und der

Umgang mit Licht. Beide haben den entscheidenden Vorteil, daß sie Schnittpunkte

sind zwischen gebauter Architektur und ihrer Entmaterialisierung. Allerdings macht

ein Blick in die Vorläuferecke des Faguswerkes in Alfeld klar, wie massiv der Auf-

wand an Material sein kann, um eine solch leicht wirkende Ecke zu bauen. Was archi-

tektonisch in den 20er Jahren immer noch gewagt war und in der verglasten Ecke des

Bauhausgebäudes als spektakulär gefeiert wurde, ist mittlerweile Allgemeingut ge-

bauten Raumes geworden: die „Ecklösung“, die die ursprüngliche statische Funktion

einer Gebäudekante entmaterialisiert.

 

Es ist fast zu erwarten, daß Kuball an genau dieser Stelle ansetzt. Sein Arbeitsmittel,

der Projektor, vollzieht das als Skizze nach. Erst bei Dunkelheit oder falls man

tagsüber durch den Lichtstrahl hindurch fliegen könnte, wird ersichtbar, daß er die

zwei Gebäudeecken verbindet.

 

Kuball geht vom Bekannten, Typischen und Offensichtlichen aus. Mit seiner Inter-

vention betont er die „Ecklösung“ und stellt sie bewußt unspektakulär zur Disposi-

tion. Markiert er übrigens nicht eine Stelle, wo bei einem barocken Schloß das schmie-

deeiserne Gitter Öffentlichkeit und weniger öffentlichen Raum voneinander trennte?

 

Der Umgang mit Licht ist ein weiteres besonderes Kapitel in der Geschichte des Bau-

haus: László Moholy-Nagys „Licht-Raum-Modulator“, die berühmt gewordenen und

wirtschaftlich erfolgreichen Bauhauslampen oder die immer wieder bewunderte Hellig-

keit des Gebäudes selbst markieren Eckpunkte dieses Betätigungsfeldes. Kuball setzt

am Bauhaus Licht in besonderen Funktionen ein: als eine Art Lichtschranke, als Farbe

im Treppenhaus, als Mittel für die Projektion von Bildern. Was im Zusammenhang

seiner Arbeiten gern grundsätzlich-philosophisch (Licht als Utopie des Materials) gelesen

wird, bekommt im Zusammenwirken mit dem vorhandenen Bau stets eine nüchterne

Aufgabe gestellt.

 

Das Treppenhaus des Hauptgebäudes wird Schauplatz seiner großen Installation

„Bauhaus I/Lotterie“, die in ihrer Vierfachausrichtung die Verteilerfunktion des Foy-

ers aufgreift. Licht markiert den Raum und die Installation mit einer Art Zufallsgenera-

tor aus Formen. Im Treppenhaus des Schultrakts versieht er seine Installation „Projek-

tionsraum 1:1:1“ mit der Aufgabe, die Farbigkeit des Raums durch projiziertes Licht

zu simulieren. Teile seiner Installation „Erfurt 52“ unterbrechen die gläserne Ausrich-

tung des Treppenhauses auf sein Gegenüber und bilden gleichzeitig eine Kreuzform

wie auch eine neue, provisorisch wirksame Wand, die entsprechend in einer studenti-

schen Aktion anläßlich der Eröffnung thematisiert und genutzt wurde.

 

Wenn Kuball seine Vorgehensweise mit dem Anspruch versieht, daß „Kunst den Ort

Definiert“ (6), ist natürlich der gedankliche Rahmen der „wichtigsten Kunstschule des

20. Jahrhunderts“ eine besondere Herausforderung.

 

Die eigentümlich schillernde Spur, die die Bauhauspädagogik hinterlassen hat, reizt

ihn zu kontrapunktischen Ansätzen: die Funktion als Schulungsort ruft die Installation

„Repeat!“ hervor, oder der berühmt gewordene Vorkurs läßt ihn beziehungsreich mit

Vorgefundenem spielen. Gleichzeitig wird diese spielerische Komponente jedoch sehr

ernst genommen: die „Bauhaus-Lotterie“ stellt sich als ein – dazu auch noch in traditio-

nellen Mitteln ausgeführtes — System dar, das die Balance hält zwischen Kybernetik

und Zufall.

 

 

Bauhausutopien Utopienbauhaus

„Architektur insgesamt ist und bleibt ein Produktionsversuch menschlicher Heimat – vom

gesetzten Wohnzweck bis zur Erscheinung einer schöneren Welt in Proportion und Orna-

ment.“ (7) Die auch heute noch zeitlos gültige Form des Bauhausgebäudes in Dessau

selbst steht in bedrückendem Gegensatz zu beispielsweise der Architektur des Gropius-

viertels in Berlin. Am Bauhaus der Weimarer Republik wurden Utopien entwickelt.

 

Im März 1991 schien der Betrieb auf Sparflamme. Anders als die verlassenen Klassen-

räume 1984 sah man einen gedanklichen undgestalterischen Produktivbetrieb ange-

siedelt, der zudem auch noch zur Schau gestellt war. Die Studierenden ließen sich ungern

stören – immerhin verdienten sie nicht wie früher durch Führungen in das Wunderhaus

ein Zubrot, sondern beschäftigten sich mit der wirren Jetztzeit.

Kuballs Projektion im Arbeitssaal der Studenten löste einen vergleichbaren Ablehnungs-

effekt aus: während sich die Studenten mit der Ökologie des Muldegebiets beschäftigten,

projizierte Kuball über die Pläne ein Bildprogramm, das auf seine Beteiligung an der Land-

Art-Biennale in Cottbus 1991 zurückging und dort im Zusammenhang stand mit einer

zunächst künstlerischen Revitalisierung der durch den Braunkohleragebau zer-

störten Landschaft.


Das Bauhaus hat sich als Ort für Utopien reinstitutionalisiert, bekommt es aber mit der

eigenen Geschichte zu tun. Die Hypothek dieser geschichtlichen Sonderstellung ist für

das heutige Bauhausgebäude schon reichlich groß; für die Institution Bauhaus kann sie

erdrückend werden. Wo soll man beginnen am Bauhaus? An die im Gebäude faßbare

große Tradition anknüpfen bedeutet sich auf Touristenströme gefasst machen. Auf die

Kybernetik von derzeit Diskutiertem (beispielsweise Medientechnologie) spezialisieren

hieße in Konkurrenz und Verknüpfung treten mit allen anderen jungen Denkfabriken,

wie dem Massachusetts Institute of Technology oder dem Zentrum für Kunst und

Medien in Karlsruhe. Und daneben stehen immer noch die unmittelbar naheliegenden

Aufgaben an: die Sanierung der Industrielandschaften im deutschen Osten ebenso

wie die sozialen Aufgaben der Kunst aus Industrieländern im Rahmen einer Weltkultur.

Vielleicht sind Kuballs geradlinige und sensible Interventionen am Bauhaus Handlungs-

skizzen für den Umgang mit der utopischen Tradition des Hauses.

 

 

 

ANMERKUNGEN

 

(1) Nikolaus Pevsner/Hugh Honour/John Fleming, Lexikon der Weltarchitektur, München 2/1987, S. 74

(2) Tom Wolfe, Mit dem Bauhaus Leben, Frankfurt/M. 1990 (Orig. ders.: From Bauhaus to our house,

New York, N.Y. 1981)

(3) Wasmuths Lexikon der Baukunst, 1. Bd. 1929, S. 386

(4) A. Leitl, Bauhaus, in: Wasmuths Lexikonder Baukunst, 1. Bd. 2/1937, S. 72

(5) Es ist daher auch kein Wunder, daß die Nationalsozialisten das Gebäude verschwinden lassen

wollten, noch ehe sie in Dessau an der Macht waren. Vgl. Magdalena Droste, bauhaus, Köln 1990,

S. 226

(6) Wenn Häuser Zeichen zeugen. Mischa Kuball  im Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum

International, Bd. 118, 5. 315

(7) Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Berlin 1951, Schlußwort






In: Mischa Kuball: Bauhaus-Block, ed.: Lutz Schöbe, in order of Bauhaus Dessau Edition Crantz, Stuttgart 1992, p. 43-49.

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