Georg Imdahl

 

Mehrwert für sino


Mischa Kuball ist 1990 mit einer Intervention im Düsseldorfer Stadtraum als Künstler international bekannt geworden, der das elektrische Licht als besonderes Medium und Material einzusetzen weiß. Mit einfachen Mitteln hatte Kuball das damalige Mannesmann-Hochhaus in eine leuchtende, völlig abstrakte Nachtskulptur verwandelt. Bei Anbruch der Dunkelheit erlosch das Licht in ausgewählten Etagen des eleganten Hochhauses von Paul Schneider-Esleben, während es in anderen Etagen brannte, woraus sich unterschiedliche Figurationen aus Licht ergaben: kühle Raster, geometrische Muster sachliche Ornamente aus einem urbanen Geist. Von hier aus sendete Kuball seine „Megazeichen“, wie er den Eingriff nannte, in die Weite der Stadt. Die Klarheit der wechselnden Konfigurationen erinnerte sichtbar an die Minimal Art der sechziger Jahre, doch anders als diese verlegte Kuball alle Theatralik des Visuellen aus dem White Cube – der nach Brian O‘Doherty so genannten „weißen Zelle“ des Galerieraums – heraus. Er bestimmte den zweckgebundenen Außenraum der Öffentlichkeit zu einem Schauplatz des Sehens. Kuball animierte damit nicht nur ein architektonisches Wahrzeichen (das heutige Vodafone-Haus) zu einem temporären Kunstwerk eigener Geltung und Wirkmacht; er macht implizit auch deutlich wie viele ungehobene ästhetische Potentiale im urbanen Raum anzutreffen sind, wenn man sie nur mit eigener Hinwendung erkundet.

Nach zahlreichen international beachteten Arbeiten ist Kuball jetzt auch in Düsseldorf wieder mit mehreren Arbeiten in Erscheinung getreten, so etwa mit imposanten Lichtinstallationen für die Stadtwerke am Höherweg*. Eine pointenreiche, wiederum ortsgebundene Lösung hat er – in einer von mehreren Werken in den Büroräumen – auch für die Firma sino AG realisiert. Sie bekundet abermals die Vielschichtigkeit seines Ansatzes. Hier rekurriert Kuball sinnfällig auf den Firmennamen und auf Chiffren wie die Wertpapierkennnummer der sino Aktie, wobei er die illustrativen Momente des elektrischen Lichts ebenso aktiviert wie dessen abstrakten Potentiale. Für den Namen sino dachte sich Kuball eine effektvolle Lösung aus. Er zerlegt ihn: si no – und weckt damit Assoziationen, die auf die binäre Logik abzielen; angespielt wird damit aber auch auf den Augenblick einer Entscheidung (zum Beispiel erkaufen/nicht verkaufen bzw. kaufen/nicht kaufen). Die Leuchtschrift im Fenster legt den Firmennamen als programmatische Devise aus, wobei sie dessen Einfachheit nicht im Mindesten komplizierter macht, wohl allerdings komplexer auslegt. Kuball funktioniert das pure Phantasiewort, das sich mühelos in allen Sprachen aussprechen, buchstabieren, schlichtweg akzeptieren lässt, zu einer Wortkombination mit Sinngehalt um, die wiederum in allen Sprachen mühelos verständlich und eingängig ist.

In den Firmenräumen selbst ist eine Fotoserie ausgestellt, die Mischa Kuballs Beitrag für Biennale von Sao Paulo 1998 dokumentiert. Das Prinzip, Kunst vom Ort her zu denken und zu projektieren, entwickelte Kuball bei der Biennale aus einer sozialen Implikation. Die Arbeit handelt, wie ihr Titel sagt, von „Private Light/Public Light“. Kuball besuchte private Haushalte der Stadt, auch in den Favelas, und bot den Gastgebern ein spezielles Tausch- geschäft an. Sie konnten ihre häuslichen Lampen während der Laufzeit der Ausstellung eintauschen gegen eine von ihm entwickelte Standardlampe Dieses einfache und auf persönlichem Kontakt basierende Tauschgeschäft setzt bei sino einen eigenen Akzent: Es beruht nicht auf Entscheidungen, die in Sekundenschnelle auf dem Bildschirm getroffen werden; vielmehr geht es auf eine soziale Interaktion zurück, deren Zeitmaß vergleichsweise verschwenderisch ausfällt.

Mit seinen hohen, schulterbreiten Zahlentafeln wiederum, die er ebenso wie die Leuchtschrift si no für die Ausstellung konzipierte, unterwandert Kuball die rechnerische, messbare Verbindlichkeit und Eindeutigkeit der Zahlenfolge, wie sie Wertpapierkennnummern zugrunde liegt. Indem Kuball die Zahlen ineinander schiebt (und an den buchstäblichen Zahlensalat denken lässt), untergräbt er Bedeutung und Sinn der Zahl als unverzichtbares Element des rechnenden Denkens. Die Zahl und ihre Kombinationen werden zu anschaulichen, rein visuellen Größen – namentlich auch die Kennnummer der Firma sino. Es dürfte denn auch deren Alltag bereichern, einmal in anderen Kategorien zu denken und wahrzunehmen als in der kompromisslosen Logik von si und no.

Deshalb wäre es ebenso wünschens- wie empfehlenswert, das Experiment zeitgenössische Kunst in den Büroräumen fortzusetzen. Vor allem wenn diese reflexiv ausfällt wie beim Auftakt dieses gelungenen Experiments, liegt der Mehrwert für ein aufstrebendes Unternehmen auf der Hand.

 

*) www.swd-ag.de/unternehmen/tech_dienste/beleuchtung_kuball.php

 

In: kuball@sino, Katalog zur Ausstellung, Hg.: Ingo Hillen, Matthias Hocke (Vorstand der sino AG) 2006.

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