Privát fény
Privates Licht
Die Geschichte der öffentlichen Straßenbeleuchtung begann mit den Gaslampen und setzte sich im großen Maßstab ab Ende des 19. Jahrhunderts dank der Transportierbarkeit elektrischer Energie fort.
Früher konnte höchstens durch die Fenster der Privathäuser ein wenig Licht in den öffentlichen Raum dringen, Licht, das sowohl von der ökonomischen Macht der Eigentümer kündete als auch ihre Lebensweise bloßstellte.
Die öffentlichen Räume der Großstädte, ihre Straßen und Parks sowie ihre repräsentativen und sozialen Bereiche wurden natürlich schon immer zu alltäglichen und feierlichen Zwecken genutzt, ihr Erscheinungsbild durch die Relikte verschiedener regelmäßiger oder unregelmäßiger Feste und Zusammenkünfte umgestaltet.
In Mischa Kuballs Arbeiten tauchen Bezüge zum Licht und zur künstlerischen Präsenz im öffentlichen und gesellschaftlichen Raum („Public Art”) seit mehr als zwei Jahrzehnten als klar erkennbares konstantes Merkmal auf. In seiner ortsspezifischen Arbeit, die im Frühjahr 2008 in Budapest entstand und von Fußgängern aller Art, von einsamen Flaneuren wie von zielbewussten Ausstellungsbesuchern, von den Bewohnern der Ráday utca wie von ihren Gästen monatelang besichtigt werden konnte, erscheinen diese beiden Bezüge vereinigt. Die Arbeit ist, wie das bei Kunstwerken für den öffentlich-sozialen Raum oft der Fall ist, das Produkt einer ganz und gar einfachen Idee und komplizierter, langwieriger Vorbereitungs- und Organisationsarbeit: Der Künstler nahm sich vor, die BewohnerInnen der Straße zu bitten, ihm die Hängeleuchten aus ihren Privatwohnungen auszuleihen, die Straße mit den damit „freigegebenen” und öffentlich sichtbar gemachten Leuchtkörpern zu bestrahlen und die normale öffentliche Beleuchtung des ausgewählten Straßenabschnitts für den festgelegten Zeitraum auf diese Weise zu verändern. Nachdem die Einwohner, der Energieversorger, die Gesellschaft für die Wartung öffentlichen Grundes und all die anderen zuständigen Behörden überzeugt werden konnten, verwandelten sich die privaten Leuchten vorübergehend in Leuchtkörper für die Straße - und die an der Ausleihaktion beteiligten Haushalte wurden vorübergehend mit uniformen Ersatzleuchten versorgt.
Wir sollten uns die Situation in ihren beiden Standardversionen kurz vor Augen führen: Zum einen die Reihe der Leuchtkörper über der Straße, die zumindest innerhalb einer Straße oder eines Bezirks einheitlich ist (weil es so üblich ist oder weil das in den Augen der Stadtplaner als richtig erscheint), zum anderen die für die Einwohner bestimmten (und meist ebenfalls serienweise hergestellten) Leuchten, die aufgrund individueller Entscheidungen in die Zimmer kommen. Es kommt nur selten vor, dass die Einwohner eines Mietshauses alle den gleichen Geschmack haben und die gleiche Lampe wählen – der Einfluss periodischer Veränderungen im Design, in den Produktionsnormen und den Gesellschaftssystemen sei gar nicht erwähnt. Ein Lampengeschäft wies in den 1930er Jahren ein weitgehend anderes Angebot auf als in den 50er Jahren oder zur Jahrtausendwende, während die einmal erworbenen Produkte jahrzehntelang unverändert an den Wohnzimmerdecken hängen können, wo sie dann den aufmerksamkeits-schwächenden Zuständen der Gewöhnung und des Vergessens schonungslos ausgeliefert sind. Man betrachtet ja normalerweise nicht den Leuchtkörper selbst; man bedient sich seines Lichts und freut sich am möglichen Beleuchtungserlebnis.
Nun, im Frühjahr 2008, wurden diese zum Teil bereits mehreren Generationen dienenden Leuchtkörper in einen neuartigen Raum der Aufmerksamkeit gehängt und dadurch zu Kunstobjekten. Nicht bloß zu Ausstellungszwecken, sondern auch mit praktischer Funktionalität: Ihre Funktion änderte sich nicht, der sie umgebende Raum hingegen änderte sich radikal. Statt der Familie rückten die Menschen auf der Straße, statt des sechsseitigen Zimmerkastens rückten die Häuserfassaden und das Straßenpflaster in ein neues, anderes Licht.
Man widmet ja der Straßenbeleuchtung normalerweise keine besondere Aufmerksamkeit, es sei denn, sie produziert etwas Unnormales. In diesem Fall leuchtete jedes ausgetauschte Licht anders, das heißt, die Reihe der vereinigten Glühbirnen* wurde in eine Reihe individueller (flackernder, farbiger, unterschiedliche Schatten werfender) Anomalien verwandelt, und sie wurde dadurch, ihrer Leuchtkörpernatur widersprechend, sichtbar. Das Phänomen ist ohne jede Erklärung verständlich, sein Evidenzwert ist so hoch, dass es von jedem Vorbeigehenden sofort verstanden wird, ohne dass er darüber nachdenken muss, was ihm da gerade passiert. Gleichzeitig kann die unausweichliche Erkenntnis (Wie kamen denn diese Hängeleuchten hierher?) eventuell dazu führen, dass man irgendein Kunststück hinter ihnen zu ahnen beginnt: Klar, eine solche Reihe von Hängeleuchten im öffentlichen Raum kann nur das Ergebnis zielbewussten menschlichen Handelns sein.
Die Besitzer der Leuchten sind einzeln und gleichzeitig auch zusammen als Kollektiv zu Beteiligten am Kunstwerk geworden: Ihre Entscheidungen waren individuell, durch die Gleichheit ihrer Entscheidung, die Zusage, und durch das sichtbare Ergebnis jedoch sind sie nolens volens zu Mitwirkenden an der Bildung einer kleinen Gemeinschaft geworden. An diesem Punkt lässt sich die künstlerische Botschaft, wenn ich es so formulieren darf, identifizieren: Der Künstler blickt während der ganzen Zeit, indem er den Weg von der Ideenfindung über das Schaffen der Bedingungen bis zur Realisierung begeht, vom endgültigen Ergebnis, vom Publikum und von der spezifischen Betrachtergemeinschaft her auf das Kunstwerk, er infiziert sozusagen die Mitwirkenden und die Zuschauer mit Hilfe einer an sich, wenn man will, sinnlosen, auf jeden Fall ungefährlichen, unschuldigen, sanften Aktion mit der Möglichkeitgesellschaftlichen Handelns. Die intensive Erinnerung der Realisierung als Geste des Aufrufs zur potentiellen Handlung.
„...ich will Sie nicht stören, ich bleibe dort unter der Straßenlaterne stehen, dann können Sie mich unmöglich sehen, und man wird doch nur dann verlegen, wenn man weiß, dass man gesehen wird…”, schreibt Kierkegaard im Entweder-Oder (Das Tagebuch des Verführers, 4. April). Genau auf diese Weise ist der Erzeuger des Privaten Lichtes in der Ráday utca als Künstler unsichtbar geworden.
In: Privát fény a Ráday utcában: Privates Licht in der Ráday utca. Ed.: Dr. Gabriele Gauler for Goethe-Institut Budapest, anlässlich der Ausstellung Privát fény a Ráday utcában: Privates Licht in der Ráday utca (29.04.-30.05.2008).
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