Lutz Schöbe (BAUHAUS-BLOCK)





BAUHAUS-BLOCK und Bauhaus

 

 

Mischa Kuball beschäftigt sich als ein Vertreter deutscher Gegenwartskunst seit einiger Zeit mit den Traditionen der Avantgarde, insbesondere jedoch mit der Arbeit und der Wirkungsweise des Bauhauses. Sein Bezug auf die Moderne scheint signifikant zu sein für die Situation der Kunst in heutiger Zeit.

 

Kunst, wie sie beispielsweise von Kuball entwickelt wird, verweigert sich den hinlänglich bekan-nten und dominieren-den Kunstverwertungsmechanismen. Schon dar in ist sie als eklatante Op-position gegen bestehende Kunstverhältnisse zu verstehen. Diese Opposition verbindet nicht nur Kuball ganz allgemein und übergreifend mit der Avantgarde des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts.

 

Kunst stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts und steht heute in einem veränderten gesellschaft-lichen Gesamtzusammenhang. Dies ist in den gewandelten Grunderfahrungen und Antizipationen zu beobachten, die über die Künste zum Ausdruck gelangen. Ursache dafür ist die Produktiv-kraftentwicklung, die das Leben ändert. Damals erfahrbar in täglich sichtbaren Erscheinungs-formen wie beispielsweise der Fortbewegung mit Bahn und Automobil, die Technisierung in den Betrieben, Beleuchtung in den Wohnungen. Heute erfahrbar vor allem in der Elektronisierung ganzer Lebens- und Produktionsprozesse, der Eroberung des Weltraumes, der dominierenden Rolle der Medien, aber auch im Erkennen der biologischen Grenze. Gemeinhin als »Moderne« bezeichnet wird der darauf bezogene Charakter einer Kunst, die auf das Leben reagiert, durch Reflexion und Ausdruck in den Strukturen der Form sowie im Inhalt. Im Kunstprozeß zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden die Stadt und die durch Industrie geprägte Umwelt und andererseits der Ingenieur als Meister der Technik zum Bezugspunkt und Leitbild. Als weltanschauliche Basis dienen Philosophien, die sich auf die Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Industrie be-ziehen. Nicht als Möglichkeit der Selbsterfahrung und Vergegenständlichung befreiter Indivi-dualität, denn als innere Emigration oder als sinnentleertes Schöpfertum wird Kunst begriffen und ihre Situation als krisenhaft erkennbar. Die Reaktionen der Künstler sind unterschiedlich. Die pro-duktivsten erweitern ihr Blickfeld auf die Realität, erneuern ihre Sprache, ihre Technik, ihr Ma-terial. Der Alltag der Massen wird thematisiert, soziale Fragen, politische Auseinandersetzungen. Mit dem Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse ging ein Funktionswandel der Künste einher.

 

Auch heute vollzieht sich ein Wandel der Funktion von Kunst ebenso wie ihres eigentlichen Be-griffes, neben einer allgemein auszumachenden Sinnkrise, in die das Kunstmachen erneut geraten ist. Die Sinnkrise der Künstler angesichts globaler Problemsituationen und der Folgenlosigkeit ihres Tuns bildet dafür nur einen Teil des Hintergrundes. Wiederum reagieren sie unterschiedlich: Sinnvergewisserung durch Fest-halten an Bewährtem, durch Besinnung auf Historie und deren Zitat, durch Perfektion und Dimension als Ausdruck von Verschwendung, als vorgestellte Glück-seligkeit vor dem Druck sozialer, technischer und ideologischer Auseinandersetzungen.

 

Mithin, es dominieren »neue« konservative und triviale Formen in der »Kunst-Landschaft« der heutigen Zeit. Amüsierbetrieb, Trivialliteratur und -film, heimattümelnde Musik, opto-elektro-nischer Glimmer, formale Selbstgefälligkeit und Beliebigkeit in vielen Gestaltungen.

 

Direkt vermittelt oder mehr unvermittelt distanziert von dieser Kunstrealität besteht bzw. ent-wickelt sich Kunst, die kritisch ist, die Vereinnahmung verweigert, die mehr oder weniger ein-greift und so Akzente setzt. Nicht selten ist dabei der Bezug auf die künstlerische Avantgarde der 20er Jahre.

 

Die Diskussion darum brachte unter schiedliche Bewertungen; so als Pseudoerneuerungen, als Verfall gegenüber dem Realismus des 18. und 19. Jahrhunderts, als uneingelöste große Utopie, als Entwurf ei-ner ästhetischen Kultur und einer neuen Perspektive. Nahezu unbestritten ist die Tat-sache ihrer eklatanten Opposition gegen die damals bestehenden Kunstverhältnisse durch eine neue Funktionssetzung. In diesem Zusammenhang ist auch die Suche nach allgemeinen Gestal-tungselementen und -prinzipien (exponiert am Bauhaus, aber nicht nur dort) zu sehen, als eine Form der Aufhebung der autonomen Kunst, im Ergebnis dessen dann nicht mehr Kunst, sondern die Gestaltung des Lebens selbst bzw. der gegenständlich-räumlichen Lebensbedingungen stand.

 

Das Problem der Avantgarde allgemein und das der neuen Avantgarde im besonderen, die Kluft zwischen Kunst und Leben aufzuheben, ist aktuell geblieben und in den letzten Jahren wieder geworden, weil nicht abgegolten ist, was damals Problematisierung fand: das Verhältnis von Politik und Ästhetik, die politische, soziale und ästhetische Emanzipation gesellschaftstragender Kräfte, die Beziehung von ästhetischer Forminnovation und sozialer Breitenwirkung, die Funktion und die Wirkungsaspekte von Kunst in bestimmten Gesellschaftsverhältnissen.

 

Wie vielerorts nachgewiesen, hatte die Avantgarde eine wirkungsästhetisch ausgerichtete In-tension (Politisierung der Kunst) und eine Ästhetik der Gestaltung gegenständlich-räumlicher Umwelt (Funktionalismus) entwickelt. In Letzterem ist das sozial-utopische Moment der Avant-garde, das sich zugleich auch als Illusion erwiesen hat, auszumachen: „die Überzeugung, eine Kunst (beziehungsweise Gestaltung), die offen ihren Produktcharakter zeigt, deutlich elementari-siert ist, offen für Eingriffe (ideelle oder für Anwendung), eine Gestaltung, die einfach ist, funk-tionalistisch, die den Komfort eines produktiven Umgangs mit Gegenstand und Raum ermöglicht – dies würde von den Massen auf Grund ihrer Rolle in der materiellen Produktion angenommen.“(1) Wo dieser Widerspruch ausgetragen wurde, erwies sich die Avantgarde sehr wohl als produktiv. Zum Beispiel am Bauhaus, dessen Produktivität zweifellos aus der Beziehung zwischen Former-neuerung, spielerischem Experiment und diszipliniertem Gegenstandsentwurf für einen Massen-bedarf resultierte.

 

Der benannte Konflikt, das zeigt die Geschichte, war nicht zu lösen. Obwohl als vernünftige, objektive, funktionale und da mit variable Lebensgestaltung entworfen, blieb Avantgardekunst eine Sache weniger. Ihre Produkte, ob als Bild oder Gegenstand, wurden und werden vermarktet zu Höchstpreisen; die Ansätze im Neuen Bauen gründlich mißverstanden.

 

Die Widersprüche der avantgardistischen Kunst stellten sich als die der gesellschaftlichen Realität dar und bestimmten ihre Wirkungsgeschichte mit, die hier nicht aufzuzeigen ist. Zumindest der Lösungsansatz wurde schon damals in der Aufhebung und Wandlung der Kunst gesehen. Eine neue Funktionszuweisung von Kunst stand dahinter, verbunden mit ihrer ästhetischen Neu-fundierung in einem zunehmend durch Technik und neue Medien, neue Gegenständlichkeiten und Urbanität bestimmten Basisinventar.

 

Vor diesem Hintergrund und angesichts der gegenwärtigen Problemlage entbehrt das neuerliche, mit immer größerer Nachdrücklichkeit vorgetragene Postulat einer „zweiten Moderne“ (2) nicht einer gewissen Logik und Plausibilität. Jedoch angesichts des vorherrschenden Pluralismus in Kunst und Gestaltung, in dem vieles sehr „laut“ und mit „viel Pathos“ und „ohne Rücksicht auf andere“ (3) daherkommt, muß eine „zweite Moderne“, will sie nur annähernd so verstanden sein wie die erste, von vornher ein als neue alte Utopie erscheinen. Auch wir hängen ihr an, hier am Bauhaus in Dessau, im Vertrauen auf ihren produktiven Faktor. Die allgemeine Problemorien-tierung liegt auf der Hand; die biologische Grenze ist beängstigend nahe! Der Lösungsansatz heute muß deshalb noch komplexer sein als in den 20er Jahren. Die alte Avantgarde, die sich nicht nur aus Künstlern zusammensetzte, sondern ebenso aus Philosophen, Technikern, Wissenschaftlern, Schriftstellern usw., einte vieles. Ihre Bezugsebene war eben nicht nur Technik und maschinelle Produktion, sondern die antiindividualistische Wendung und die Suche nach kollektiven Bezie-hungen und Ausdrucksformen, war das Leben schlechthin. Heute gilt es mehr denn je, alle Register zu ziehen, auch die des erneuten riskanten Versuchs der Veränderung globaler sozialer Verhältnisse durch Politik und Wirtschaft. Hieraus scheint sich eine neue, um mit Moholy-Nagy zu sprechen, „universelle Notwendigkeit“ und die Notwendigkeit eines neuen alten, alles um-fassenden „Gesamtwerks (Leben)“ zu ergeben, „in dem alle individuellen Leistungen aus einer biologischen Notwendigkeit entstehen“. (4) Es gibt Hoffnung, daß sich nicht nur das gegenwärtige Bauhaus in Dessau in seinem Tun dieser neuen „universellen Notwendigkeit“ verpflichtet sieht.

 

Als vielfältig gepriesenes „Symbol der Moderne“ fasziniert das Bauhaus nach wie vor, hat es aufgrund seiner Ideen und Wirkungsgeschichte immer noch etwas Provokantes, Subversives. Diese Wirkung ist produktiv, insofern sie zur wissenschaftlichen, künstlerischen oder politischen Auseinandersetzung auffordert. Im Ansatz findet diese Auseinandersetzung statt, am heutigen Bauhaus, freilich unter Maßgabe einer Programmatik, die ihre einende Kraft und Effektivität erst noch unter Beweis stellen muß. Nachdem das große Ziel, „der Erhalt der menschlichen Lebens-grundlagen“ (5), ausgemacht, die allgemeine Bezugsebene über die digitalen und elektronischen Techniken hinaus auf den Vergesellschaftungsprozeß und modellhaft auf den Ort und die Region fixiert ist, bedarf der methodische Ansatz, bedürfen die Instrumentarien einer Qualifizierung. Ein Ansatz dazu kann der Geschichte entnommen werden, nicht als bloße Revitalisierung oder nostalgische Kopie, das wäre eine verkürzte Interpretation, sondern als – wie es Heinrich Klotz vorschlägt – Fortsetzung der Moderne mit neuen Begriffen und unter neuen Vorzeichen.

 

Ins Blickfeld des Interesses gerät dabei erneut der eigentliche Kern des Bauhausprogramms der 20er Jahre; jene Vorstellungvon Synthese, die eine sozialutopische einschloß bzw. in dieser grün-dete. Es soll an dieser Stelle nicht herausgearbeitet werden, wie dieser Synthesegedanke während der vierzehn Jahre, die das Bauhaus existierte, sich entwickelt, modifiziert und mit unterschied-lichen Akzenten versehen wurde, das ist hinlänglich beschrieben worden. (6) Vielmehr sind die allgemeinen Anregungen auf zugreifen und – nach kritischer Prüfung – auf ihre heutige Verfüg-barkeit hin zu befragen. Der Synthesegedanke heute müßte auf einer sozialutopischen Synthese-vorstellung (zunächst etwa der eines geeinten Europa) gründen und in einer die »neuen Vor-zeichen« berücksichtigenden Vereinigung aller gestalterischen Kräfte, unter Nutzung des neuen technischen und ökonomischen Potentials, in den so entwickelten Produkten (in Theorie und Praxis) und in interdisziplinärer, internationaler Zusammenarbeit ihren sinnfälligen Ausdruck finden.

 

Das, was von dem utopischen Aufbruchspathos der 20er Jahre, von dem Anspruch auf Antizi-pation eines künftigen harmonischen Weitzustandes blieb, ist aufzugreifen und produktiv zu machen: „der fruchtbare Widerspruch zwischen sozialer Utopie... und exakter Analyse, zwischen den weitgesteckten... Zielen und der ungeschminkten Sicht auf die wirklichen Zustände...“ (7) Dabei kann die Gestaltung (von Planungsansätzen, Rekultivierungsvorschlägen, Programmen neuer kultureller Wertevermittlung, von konkreten Produkten etc.) für eine angestrebte neue Gemeinschaft, wie sie sich jetzt mit dem neuen Deutschland (im Kleinen) und dem künftig geeinten Europa (im Großen) darstellt, auch nur das Werk von Gemeinschaften sein. Das heißt gemeinschaftliches, wenn man so will, solidarisches Tun, um den allzu negativ belasteten Begriff der Kollektivität, als Ergebnis der Überwindung einer nur individuellen Produktionsweise etwa des Künstlers, nicht zu gebrauchen, gilt dafür als Bedingung.

 

So könnte auch heute – es ist noch nicht soweit – am Bauhaus eine neue Form „synthetischer Gestaltung“, als „sichtbares Zeichen“ für eine künftige, nicht nur geeinte, sondern auch wirklich demokratische Gesellschaft realisiert werden über gemeinschaftliche Arbeit.

 

Daß dies nicht nur institutionell und im großen Rahmen möglich ist, sondern mitunter, bei an-näherend gleicher Effektivität, als gleichsam individuelle Leistung zu erbringen, ist eines der Verdienste der sogenannten Konzeptkunst, wie sie u. a. von Mischa Kuball vertreten wird. In seinen handlungsorientierten Konzeptionen, insbesondere in denen zum BAUHAUS-BLOCK, die nicht von ungefähr mit dem gegenwärtigen Bauhaus entwickelt wurden, findet sich vieles von dem zuvor (fast sträflich verkürzt) Dargestellten wieder.

 

Kuball zielte in der inhaltlichen und formalen Entwicklung seiner Installationen auf eine lang-fristige (über zwei Jahre) ausgerichtete gemeinschaftliche Aktivität und auf ein damit verbundenes integratives Moment. Er begreift dabei seine Funktion als Künstler zunächst nicht in der vordergründig gegenständlich-produktorientierten Tätigkeit, sondern vielmehr in der problem-orientierten, organisierenden, kritisch hinterfragenden Aktion. Als Bestandteil eines künstlerischen Konzepts begriffen, im Ergebnis dessen freilich wiederum ein Kunstwerk stand – bei Kuball ein Komplex von Installationen – , scheint hier eine Tradition aufzuleben, die Kunst auf direkteste Weise in das Leben, in den gesellschaftlichen Prozeß integriert, in dem sie handelnd über den Künstler eindringt. Kuball bzw. diese Form der positiv gerichteten sogenannten Konzeptkunst, scheint produktiv jene Ingenieur-Künstler bzw. Künstler-Organisatoren zu beerben, wie sie zu Beginn dieses Jahrhunderts innerhalb des sowjetischen Konstruktivismus und der teilweise aus ihm entwickelten Produktionskunst (8) hervorgegangen waren (Rodtschenko, Tatlin, aber auch z. B. Moholy-Nagy). Daß er ähnlich diesen, den Menschen als aktives, schöpferisches Subjekt und nicht nur als Objekt und Konsument begreift, daß seine Installationen auch als ‚Impulsgeber’, ‚Ideenträger’ und ‚Lernapparate’ zur Entwicklung bewußter Fähigkeit zu sinnlicher Wahrnehmung, optischer Orientierung usw. in ihrem intendierten Gehalt zu verstehen sind, ist wohl über die bloße Reminiszenz an Beuyssche Kunstkonzeption hinaus auch auf die Moderne der 20er Jahre zurückzuführen.

 

Weitere, bewußte oder unbewußte, intendierte und realisierte Bezüge sind im kunstkonzeptionel-len Vorgehen des Mischa Kuball, im Verbund mit dem heutigen Bauhaus, wie in der Wirkung seiner Objekte und Installationen auszumachen. Etwa in der vielschichtigen Orientierung auf Materialwerte und deren Bedeutungsgehalt als Ausdrucksträger (Vorkurs / Resopal VI, Deutsches Haus), der spezifischen Verwendung des Lichtes (siehe Beitrag von Wulf Herzogenrath) bis hin zum direkten thematischen Aufgreifen sinnlicher Bezüge (Vorkursthematik, Bauhaus-Programm, Manifest etc.)

 

Der allgemeine Bezug auf den Ort, der am augenscheinlichsten mit der Installation „Manifest“ auszumachen ist, die wiederum den Gedanken des Gesamtkunstwerkes aufgreift an einer Stelle, wo seinerzeit die Errichtung einer Kirche geplant war (9), erreicht eine Bedeutungsebene, die zu berücksichtigen ist. Gemeint ist der Raum-Zeit-Bezug im BAUHAUS-BLOCK, der – ähnlich wie auch am am (sic.) Bauhaus der 20er Jahre – zu einer zentralen Kategorie im Werk von Kuball spezifisch künstlerisch entwickelt wurde und in der Programmatik des heutigen Bauhaus m. E. perspektivisch zu berücksichtigen ist. Gemeint ist in diesem Zusammenhang eine nicht auf Gegenständlichkeit schlechthin, die Gegenstände in der Wahrnehmung isolierende, sondern eine auf den Raum orientierte, die Gegenstände räumlich relationierende Sinnlichkeit. (10)

 

Kuballs Werk ist in der Gesamtschau mehrfach beschrieben und die wesentlichsten Wirkungs-kriterien seiner Kunst sind benannt worden. Hinzugefügt wurde letztlich der Aspekt des Agierens „im sozialen Umfeld unserer urbanen Wirklichkeit“, wie Ulrich Krempel es nannte. (11) Ausge-blendet blieb jedoch bislang, so scheint es, der Raum als „unabdingbares Konstituens der Kuball-schen Enviroments“. (12) Es scheint, als habe Kuball im BAUHAUS-BLOCK in dieser Hinsicht einen Höhepunkt erreicht. Nahezu kontinuierlich ist Raum, nicht nur in Abhängigkeit von Licht, obschon auch dies, in seinem Werk zu einer determinierenden Größe geworden. Ähnlich wie in Teilen der Avantgardekunst zu Beginn unseres Jahrhunderts ein Übergang von der Fläche in den Raum, vom Bildkonzept zur Raumkonzeption, vom Kunst-Ismus zum Neuen Gestalten und Neuen Bauen stattfand (13), vollzog sich im Werk von Mischa Kuball ein Übergang von der Fläche in den Raum, im Ergebnis dessen jedoch wieder um Kunst steht. Ausgangspunkt sind dabei seine frühen Papierschneidearbeiten, die den unmittelbaren Übergang von der Fläche in den Raum markieren und den Bau von Installationen fast als notwendige Konsequenz erscheinen lassen.

 

Dort angekommen, entwickelte sich Kuball weiter unter dem Zwang der Verdichtung des inhalt-lichen Aspekts, indem er den Weg gleichsam auf höherer Ebene zurückgeht und aus dem von ihm gegenständlich definierten Raum, per Projektion (Licht) Flächen (Zeichen) markiert. Diese werden im ersten Moment auch als Flächen erkannt, jedoch sofort in Frage gestellt, wenn versucht wird, die Flächen im Raum zu definieren. Hier setzt Kuballs kalkulierter Umgang mit Wahrnehm-ungsaspekten ein, mischt er sich ein in Wahrnehmungsprozesse und treibt er mit ihnen ein eigentümlich ambivalentes Spiel (Bauhaus 1/Lotterie, Lichtbrücke, Protektionsraum 1:1:1).

 

Mit dieser Flächen-Raumbeziehung, den andernorts beschriebenen inhaltlichformalen Bedeutungs-gehalt von Licht und dem Aspekt der Bewegung, die sich im Zeitverlauf (Diawechsel) manifes-tiert, sind einige der wesentlichsten Wirkungsmechanismen Kuballscher Kunst benannt. Letztendlich erwächst ihre Spezifik aus einer Synthese von konkreter und abstrakter Gestaltung, die Kuball in seinen Installationen eingegangen ist. Konkretion liegt in der Mannigfaltigkeit von Bedeutungen im sozialen Kontext für die Rezipienten (etwa wenn in der Installation „Deutsches Haus“ Projektionen von deutschen Wohnzimmern etc. auf Bauhauswände erscheinen. . .). Abstrakte Gestaltung, mit bloßer ästhetischer Wirkung und an sich durch die Gestaltung zunächst in kein kunstspezifisches Bedeutungsfeld gelagert, ist auf bloße Darstellung bezogen, eindeutig abbildend (z. B. die mit Resopal beschichteten Stelen, große, im Querschnitt rechteckige Körper als Ausgangspunkt für Projektionen und raumdefinierende Objekte). Zugleich sind die abstrakten Elemente darin konkret, daß die subjektive Bildungsmöglichkeit ihrer Bedeutungen unbegrenzt ist (Kiste, Pfeiler, Hochhausmodell...) Diese theoretisch nur fixierbare Polarisierung der ästhetischen (abstrakten und konkreten) Gestalt-welt ist bei Kuball ein wichtiges Moment ihrer Produktivität. Kuball verwendet in seinen Instal-lationen die abstrakte und konkrete Kunstgestalt jeweilsals unterschiedlich akzentuiertes Ausdrucksmittel. So stehen Bilddarstellungen, gegenständliche Projektionen mit hohem Assoziations-gehalt (Repeat!) neben geometrischen Projektionen (Vorkurs/Resopal).

 

Erst in der Verbindung der ästhetischen Gestaltimpulse und der ästhetischen Wirkungsweise der Formen mit begrifflichweltanschaulichen Inhalten wird der kunstästhetische Charakter der Formen selbst bei Kuball konkretisiert.

 

Die anteilige Analyse zeigt, daß Kuball mit BAUHAUS-BLOCK nicht nur in der Verwendung von Dia-Bildprojektionen, sondern in der sensiblen Handhabung verschiedenster Mittel, metho-dische Ansätze der Avantgarde der 20er Jahre aufgreift und diese weiterentwickelt. Die Reali-sierung des Projektes in der neuen Institution Bauhaus hatten nicht nur eine eigentümliche Ver-fremdung der hinlänglich bekannten Architektur bei Nutzern und Besuchern zur Folge, gleicher-maßen wurde ein Experiment erfolgreich zum Abschluß gebracht. Das Experiment bestand darin, Kunst zunächst konzeptionell, in der Phase ihrer Schöpfung, in Verbindung mit den Entwicklungs-prozessen einer nach dem orientierenden Prinzip der Verbindung der zeitlichen Ebenen (Vergan-genheit – Gegenwart – Zukunft) mit den räumlichen Ebenen (Haus – Stadt – Region) arbeitenden und damit nach beispielhaften Lösungsansätzen für die Probleme der Zeit, in der Konzentration auf den Ort, suchenden Institution, einzubringen.

 

Das Moment der Funktionalisierung bei Wahrung ihrer Selbständigkeit ließ Kunst so, letztendlich auch in der Präsentation der Ergebnisse dieses Prozesses, beispielhaft erneut zum produktiven Faktor werden. Darin liegt Perspektive.

 

 

 

Anmerkungen

 

(1) Karin Hirdina, Kunstbegriff der Avantgarde, in: Weimarer Beiträge. 32. Jahrgang, Heft 9, 1986, S. 1477

(2) Der Begriff ist der Rede von Heinrich Klotz entnommen, die er am 21.5.92 anläßlich der Eröffnung der HFG in Karls ruhe hielt.

(3) ebenda

(4) László Moholy-Nagy, Malerei Fotografie Film, Mainz und Berlin 1967, S. 15

(5) Bauhaus Dessau, Programm 1992, S.1

(6) Karin Hirdina, Pathos der Sachlichkeit, Berlin 1981

(7) Karl-Heinz Hüter, Das Bauhaus in Weimar, Berlin 1976, S.153

(8) vergleiche dazu: Harald Olbrich, Sensibel durch Kunst, in: form und zweck, Heft 2, 1980, S. 32ff.

(9) vergleiche dazu: Harald Kegler, Das Bauhaus-Dessau-Projekt. Ein Planungshistorischer Versuch, in: Von Bauhaus bis Bitterfeld, Gießen 1991, S. 20

(10) vergleiche dazu: Lothar Kühne, Funktionalismus als zukunftsorientierte Gestaltungs-konzeption, in: form und zweck, Heft 5, 1982, S. 41ff.

(11) Ulrich Krempel in seiner Eröffnungsrede zu Bauhaus-Block am 1. Mai 1992

(12) Klaus Flemming, in: Kabinett/ Cabinet, Mischa Kuball, Düsseldord 1990

(13) siehe Karin Hirdina, a.a.O.






In: Mischa Kuball: Bauhaus-Block, ed.: Lutz Schöbe, in order of Bauhaus Dessau Edition Crantz, Stuttgart 1992, p. 33-42.

© all rights reserved by the author