Megazeichen

1990

Über einen Zeitraum von insgesamt sechs Wochen blieb nachts in bestimmten Büros und Fluren des Mannesmann-Hochhauses das Licht an, so dass die beleuchteten Fenster in der Konstellation ein weithin sichtbares Zeichen bildeten. Die Lichterscheinungen wechselten wöchentlich an der mehrstöckigen Fassade des Gebäudes, und erst im Laufe der Aktion wurde das systematische Gesamtprogramm deutlich.

Mischa Kuballs Konzept für sein Düsseldorfer Mannesmann-Projekt geht von einfachen Grundvoraussetzungen aus: Ein Hochhaus, dessen funktionale Zwänge sich bereits in seiner strengen und schlichten äußeren Form zeigen, wird für einen temporären Zeitraum zum Träger künstlerischer Zeichen, die der Künstler in seinem Atelier plant und mit Hilfe moderner Technologienumsetzt. Der Künstler überlässt dem Gebäude seine alltägliche Funktion als Arbeitsplatz; die Kunst erobert das Äußere des Gebäudes nur in der arbeitsfreien Zeit, in der es nicht mehr ist als ein leeres Gehäuse, eine geronnene Form von Arbeits- und Lebensprozessen, die sich niemals durch die Erscheinung des Gebäudes mitteilen kann. Kuball trennt Arbeitszeit und Kunstzeit, nutzt die sozialen Rhythmen des urbanen Lebens für seine Intervention in die nächtliche Dunkelheit der undefinierten Städte. Kuball definiert die Übergänge zwischen den Zeiten als fließend: Mit den Tageszeiten verlassen und betreten die Mitarbeiter das Gebäude, nehmen ihre Tätigkeit auf und beenden sie. Wer im Gebäude sitzt und arbeitet, kann seine Erscheinung nicht wahrnehmen; wer das Gebäude in seiner äußeren Form sieht, hat keinen Einblick in das Innenleben seiner Funktionen. Der Künstler setzt sich als erster mit dem so formulierten Dilemma einer scheinbar hierarchiefreien Architektur der Moderne auseinander. In seinem Umgang mit dem Gebäude wird dieses auf seine skulpturale physische Form reduziert. Architektur wird dort zur Skulptur, wo sie ihrer Nutzbarkeit enthoben wird.

Kuballs Projekt spürt den Erscheinungsformen der dualen Existenz des öffentlichen Raums nach. Tag und Nacht, Arbeits- und Kunstzeit: Die doppelten Rhythmen machen deutlich, wie nah sich der Künstler am Lauf der Naturorientiert und wie präzise er die natürlichen Bedingungen gesellschaftlicher Ordnungssysteme reflektiert. Feierabend und Arbeitszeit verweisen die veränderte Wahrnehmung des Gebäudes als Skulptur auf die Freizeit, eine Zeit, die in unserer Gesellschaft als besonders reich und förderlich für die persönliche Verwirklichung angesehen wird. Kuball beharrt auf dieser Antinomie, die zum strukturierenden Prinzip und zum Taktgeber für sein Projekt wird. Die Nutzer des Gebäudes - die arbeitenden Menschen - führen das Hochhaus in die Kunstzeit über, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen: Sie werden im Konzept des Künstlers zu denjenigen, die die Kunstzeit produzieren, sie beginnen und enden lassen. Eine zweite zeitliche Rhythmisierung liegt in der wöchentlich wechselnden Form der Architekturzeichen. Die Woche als übergeordnete Zeiteinheit des städtischen Lebens vereint Ende und Neubeginn .Auch sie ist eng mit der natürlichen Chronologie unseres Lebens verbunden, enthält Wiederholungen (wie Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Arbeitszeit und Freizeit) und Veränderungen (Verlauf der Jahreszeiten).